Freitag, 10. Februar 2012

Wullf muss gehen

Man sollte seine Meinung ändern, wenn man im Lauf der Zeit zu Erkenntnissen gelangt, die die Basis der bisherigen Meinung erodieren. Mir geht es jetzt mit dem Bundespräsidenten so. Anfang Januar schrieb ich, dass ich die Treibjagd auf Wulff nervtötend finde, sein Verhalten nicht weiter bemerkenswert und viele andere Themen für wichtiger halte. Zwar halte ich immer noch viele andere Themen für wichtiger, aber meine Ansicht über Wulff habe ich geändert.

Nachdem ich die letzten Wochen kaum noch etwas zu dem Thema gelesen habe, weil ich meine Zeit nicht damit verschwenden wollte, mir über Wulff Gedanken zu machen, habe ich die Sache in den letzten Tagen doch noch hin- und wieder verfolgt. Was meine Ansicht nun geändert hat, ist die Frage des Maßes, mit dem gemessen wird. Überlegt man sich, wie sich Wulff all die Jahre immer wieder diesen oder jenen Vorteil hat zustecken lassen, dann ist das für sich genommen noch nicht unbedingt schändlich oder moralisch sonderlich verwerflich. Betrachtet man aber im gleichen Zuge, dass sich die deutsche Beamtenschaft extrem strengen Antikorruptionsregeln unterwerfen muss und ein Beamter bei gleichem Treiben längst entlassen worden wäre, dann wird eine Ungerechtigkeit daraus [1]. Man muss sich fragen: warum darf der Bundespräsident etwas, was seinen Untergebenen verboten ist, wenn es dabei um die Tragweite moralischer und ethischer Handlungen geht?

Vollends zur Farce wird es dann, wenn sich gerade dieser Mensch als jemand inszeniert (hat), dem moralisches Handlung besonders am Herzen liegt. Man betrachte diesen Satz: „Es ist tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann. Es handelt sich [...] offensichtlich um eine Verfilzung mit schwarzen Reise-Kassen jenseits der parlamentarischen Kontrolle. Dies stellt eine Belastung des Amtes [...] dar.“ [2]

Klingt ganz so, als wäre das ein aktuelles Statement von Sigmar Gabriel über Wullf, ist aber von Wulff über Johannes Rau.Als Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag verfolgte Wulff 1999 in geradezu wadenbeißerischer Manier den damaligen Ministerpräsidenten Glogowski, der eine vergleichsweise harmlose Sponsoringaffäre im Haus hatte. Glogowski hatte jedoch den Anstand, zurückzutreten, und wurde danach trotzdem noch weiter von Wulff attackiert, der forderte, dessen Pension bzw. Übergangsgeld zu kürzen. [3] Da kann einem schon das Lachen im Halse stecken bleiben, das Wulff nun genau dasselbe tut, was er damals anderen vorgeworfen hat. Dies macht in besonderem Maße seine Unredlichkeit aus und zeigt sehr deutlich seine charakterliche Schwäche und Nichteignung für das Amt. Man kann auch sagen: "Gewogen, und für zu leicht befunden." In seinem Fall offensichtlich viel zu leicht.

Letztlich kann ich doch bei meinem Satz von Anfang Januar bleiben: "Ich habe das Interesse verloren und bekenne: ich lese keine Artikel über Christian Wulff mehr." Nun aber deswegen, weil ich den Respekt vor ihm verloren habe und ihn nicht als die moralisch-ethische Instanz anerkenne, die der Bundespräsident nun mal zu sein hat. Und weil das inzwischen rund 80% der Deutschen so sehen, muss Wulff gehen. Merkel wird sich einen neuen Präsidenten suchen müssen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen