Eine Schlagzeile im Handelsblatt von vor einigen Tagen hat mir zu Denken gegeben: "Der Verband der Großbäckereien geht davon aus, dass innerhalb der kommenden acht Jahre 6000 Backbetriebe verschwinden werden". Das ist keine kleine Summe, wenn man weiß, dass es heute 14.000 davon im ganzen Land gibt. Und wenn man pro Backbetrieb von durchschnittlich 4 Mitarbeitern ausgeht (was eher tief gegriffen sein dürfte), so geht es in Summe um 24.000 bis vielleicht 40.000 Arbeitsplätze. Zieht man davon die moderate Anzahl der Menschen ab, die ohnehin in Rente gehen, dann verbleiben vielleicht 18.000 bis 20.000 Arbeitsplätze, die verschwinden werden. Mir stellte sich sofort die Frage: wo bleibt eigentlich hier der Aufschrei der politischen Linken, die doch sonst jeden Arbeitsplatz bis aufs Messer verteidigt, fröhlich Staatshilfen für untergehende Unternehmen verteilt und um keine Subvention verlegen ist? Und drängt sich einem nicht gleich der Fall Schlecker auf, wo jüngst unisonso alle Parteien - bis auf die FDP - kräftig Subventionen gefordert haben, um das Unternehmen am Leben zu erhalten? Und da ging es nur um 10.000 Arbeitsplätze, ebenso wie Jahre zuvor bei Opel, Mannesmann oder beim Bremer Vulkan und anderen Beispielen.
In diesem Beitrag geht es nicht um das Bäckereisterben, sondern um einen Blick auf politische Reflexe. Warum ist es für Politiker nicht besonders attraktiv, sich für 20.000 Arbeitsplätze einzusetzen, die quer über das ganze Land verteilt sind und die innerhalb von ein paar Jahren verschwinden werden? Um warum laufen bestimmte Parteien und Politiker zu kämpferischer Hochform auf, wenn es um 5.000 Arbeitsplätze geht, die an einem Ort versammelt sind? Die dahinter stehende politische Logik ist einfach: ein an einem Ort geballtes Problem ist immer leichter zu handhaben und zu überblicken als eines, das an vielen Orten existiert. Kein Politiker kann den deutschlandweiten Trend des Bäckereisterbens wirklich aufhalten, ebenso wenig wie man den Untergang der Scherenschleifer, Kutscher und Steinmetze aufhalten konnte. Denn die Konsumenten, also alle Bürger, treffen ihre individuellen Entscheidungen und kaufen heute ihre Backwaren im Supermarkt und von Bäckerketten. Sich diesem Großtrend der millionenfachen, einzelnen und täglich getroffenen Konsumentenentscheidungen entgegenzustellen, ist im geltenden Gefüge unserer Marktwirtschaftlichen Ordnung mehr als hoffnungslos und das wissen die meisten Politiker auch, entweder instinktiv oder bewusst. Und keiner geht freiwillig in einen Kampf mit Windmühlen. Sich aber für eine konkrete Fabrik an einem Standort einzusetzen, ist dagegen einfach und billig, im doppeltem Sinne.
Denn ein wichtiger Grund ist weiterhin, dass man sich als Politiker mit einer öffentlich gelebten sozialen Ader viel (medien-)wirksamer an einem konkreten Ort vor 5.000 Demonstranten präsentieren kann als an 1.000 Orten vor jeweils nur 5 Betroffenen. Es ist also aus Parteisicht und persönlicher Perspektive viel lohnenswerter, sich für den Nokia-Standort Bochum einzusetzen, als für 6.000 Bäckereien, die verstreut in ganz Deutschland liegen. Und so selten ich die FDP aktuell auch verteidige, so merkt man an dieser Stelle doch den großen Unterschied in der politischen - und auch menschlichen - Ehrlichkeit zwischen der politischen Linken und den Liberalen: die FDP sagt ihre politischen Standpunkte auch meist dann in aller Offenheit, wenn klar ist, dass sie dafür Prügel beziehen wird. SPD, Linke, Grüne und auch die CDU kneifen an dieser Stelle und winden sich in Allgemeinplätzen. Konkret tun sie aus besserem Wissen jedoch ebenso wenig für die Betroffenen, weil sie genau sie wissen, dass sie nichts tun sollten. Das Feld der Ehrlichkeit überlassen sie gern der FDP, behaupten öffentlich fröhlich das Gegenteil und tun im politischen Alltag dann doch dasselbe wie die Liberalen - nämlich dem marktwirtschaftlichen Geschehen seinen natürlichen Lauf lassen - also letztlich nichts.
Dieses Nicht-Handeln bedeutet übrigens nicht, dass den Politikern - egal welcher Partei - die einzelnen menschlichen Schicksale egal sind. Aber sie wissen, dass sie weder etwas tun können noch etwas tun sollten. Denn die Entscheidung über das Bäckersterben - genauso wie über den Untergang der Kutscher - triftt jeder Konsument selber. Ob er seinen Bäcker um die Ecke unterstützt oder ob er seine Brötchen beim Supermarkt kauft, liegt ganz bei ihm. In einer sozialen Marktwirtschaft und Demokratie ist es nicht die Aufgabe der Politik, darüber zu entscheiden, welche Wirtschaftszweige entstehen, prosperieren oder untergehen dürfen. Es ist die Entscheidung aller. Und eines geht dabei nicht: sich darüber zu beklagen, dass die Läden in der Einkaufsstraße dicht machen und die Innenstadt plötzlich so leer aussieht und gleichzeitig alles bei Amazon bestellen und nur noch ins Einkaufszentrum am Stadtrand fahren. Denn das wäre sowohl zu kurz gedacht - wie auch Heuchelei. Und als Heuchelei darf man es ruhig betrachten, wenn der nächste Aufschrei der Linken kommt, weil wieder mal ein Werk irgendwo geschlossen wird - so wie jeden Tag Bäcker, Schuster, Uhrenmacher, Optiker, Kleidergeschäfte, Theater, Drogerien, Buchhandlungen und so weiter zumachen, bei denen keiner laut schreit.
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