Sonntag, 8. September 2019

+1 Grad Celsius - Die Kriegswirtschaft kommt

Die Klimakrise schreitet zügig voran. "Krise", weil "Klimawandel" längst ein zu milder Begriff geworden ist und "Katastrophe" einfach nicht gut klingt. Die ökonomischen und sozialen Kosten für den Umgang mit ihren Folgen steigen jährlich weiter an. Schon vor zehn Jahren sagte der damalige Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans-Joachim Schellnhuber, dass wir die zur Bekämpfung des Klimawandels notwendigen Anstrengungen bei weitgehendem Nichthandeln ab 2020 nur noch im Rahmen einer Kriegswirtschaft unternehmen können. Er hat damit einen griffigen Begriff für eine Gesamtansicht der Situation verwendet, die mir schon seit Jahren durch den Kopf geht: Kriegswirtschaft. Und wenn man Schellnhuber gerne auch mal vorwerfen kann, er würde schwarz sehen, so schätze ich, dass der Mann einfach zu viele Jahre zu viele Zahlen und zu wenig aus ihnen folgendes Handeln gesehen hat, so dass er schlicht nicht mehr optimistisch ist.

Zunächst zur Definition des Begriffs "Kriegswirtschaft": ich bemühe ganz klassisch den deutschen Ökonomen Walter Eucken, nach dem eine Kriegswirtschaft ein die Marktwirtschaft regulierender Interventionismus des Staates ist, der das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Freiheit der Berufe nicht aufhebt. Jedoch werden die Produktionsziele durch Nachfrage und Regulierung erheblich gesteuert, so dass vor allem die Rüstungsproduktion in den Mittelpunkt gestellt wird. Das bedeutet also: weniger Konsum- und Investitionsgüter, dafür mehr Rüstungsproduktion, -forschung und Mittel für die Beseitigung von Kriegsfolgen. Auf die Klimakatastrophe bezogen, kann man die ganzen Rüstungsgüter nun einfach durch "Maßnahmen zur Behebung oder Milderung der verursachten Schäden" ersetzen. Und damit hat man schon eine relativ gute Vorstellung: eine Klima-Kriegswirtschaft bedeutet, dass erhebliche Anteile des Bruttoinlandsproduktes dafür verwendet werden, die für die Menschen nachteiligen Änderungen des Klimas aufzuheben oder zu beseitigen.

Und schon sind wir mittendrin: schon heute geben wir Hunderte von Millionen für die Forstwirtschaft aus, deren Fichten-Monokulturen wegen ausbleibendem Regen vertrocknen, weil sich die Wetterschemata ändern. Wir geben der Landwirtschaft Milliarden, deren Produktionsweisen die Acker beschädigen und die zu viel Gülle ausbringt und Methan produziert und das Grundwasser verseucht. Milliarden an Subventionen gehen an die Energiewirtschaft, deren CO2-Emissionen weitgehend kostenfrei in die Atmosphäre geblasen werden und für deren Atommüll es immer noch keine Lösung gibt und auch nie eine geben wird. Die Beispiele sind Legion. Der Wert und Anteil der notwendigen Kosten zur Behebung von Umweltschäden, gemessen am Weltinlandsprodukt, steigt jährlich an. Schließlich hat die Menschheit seit 2009 im Wesentlichen nichts unternommen, um den Emissionen Einhalt zu gebieten. Ja, in Europa sind die CO2-Emissionen nicht durch die Decke gegangen, aber das macht man in China, den USA, Australien und dem Rest der Welt ordentlich wett. Die USA fördern wie irre Öl aus Fracking, die asiatischen Entwicklungsländer betreiben Luftverschmutzung als Volkssport, die Brasilianer roden den Regenwald in nie gekanntem Ausmaß und selbst in China, das sich seit kurzem stärker um Nachhaltigkeit bemüht, emittiert irgendein blödes Arschloch dann doch wieder FCKW, was nun wirklich völlig dämlich ist. Dazu kommt everydays business: die Leerung der großen Aquifere und Sinken der Grundwasserspiegel, der Verbrauch fruchtbaren Ackerlandes durch Versiegelung und Verwüstung, die Vermüllung der Meere und der Anstieg des Meerespiegels. Das alles sind schon heute ungeheure externe Kosten, die nicht von den Verursachern beglichen, sondern der Allgemeinheit aufgebürdet werden, also den Steuerzahlern, sofern sie überhaupt behandelt werden. Die Gewinne der Umweltdchäden werden hingegen privatisiert.

2000 war der Klimawandel kaum ein Thema, 2010 war er schon wichtiger und jetzt wird er - sofern kein Krieg ausbricht - zum allein dominierenden Thema der nächsten Jahrzehnte. Das immer notwendiger werdende, entschlossene Handeln wird viele Maßnahmen gleichzeitig bedeuten: wenn wir mal alle Details weglassen und nur eine ganz grobe Richtung vorgeben, so müssen wir vor allem die CO2-äquivalenten Emissionen bis 2050 auf einen neutralen Wert bringen, d.h. es darf maximal so viel emittiert werden, wie entzogen wird. Und da wir seit Jahrzehnten reichlich CO2-Senken beseitigen und außerdem die bis dahin geschehene Erwärmung um mindestens 2 Grad wieder rückgängig machen wollen, muss eigentlich ein Minus herauskommen. 
Das bedeutet eine Reduktion der CO2-äquivalenten Emissionen von aktuell rund 60 Gigatonnen jährlich auf de facto unter 10 Gigatonnen, also um rund 85%. Blickt man auf Verursacher, Anteile und Wirkungsgrade heißt das: Reduktion von Flugverkehr um gut 95%, Reduktion des Schiffsverkehrs um 95%, Reduktion des Straßenverkehrs um 80%, Reduktion des Ölverbrauchs um 95%, Reduktion der Industrieemissionen um 85%, Reduktion der landwirtschaftlichen Emissionen um 85%. Natürlich könnte man beispielsweise den Flugverkehr auch beibehalten - solange man durch Fliegen keine CO2-Äquivalente emittiert. Nur scheint das eine technische Utopie zu sein und zu bleiben. Freiwillig wird die Mehrheit der Menschen derartige Einschränkungen ihres Lebensstiles nicht mitmachen und solange unser marktwirschaftliches System die Kosten des Umweltverbrauchs nicht internalisiert und Verstöße gegen das bereits geltende Recht zum Umweltschutz nur mit geringfügigen Strafen verbunden ist, wird von den 15% Prozent der Reichsten der Menschheit - ja, das sind per Definition auch alle Deutschen - weiterhin ein Lebenstil gefahren werden, der die Ressourcen in Anspruch nimmt, die zum einen allen Menschen zustehen und zum anderen jährlich 2 Erden benötigt, um sie zu erzeugen.
Es wird deutlich: mit unseren Strategien der letzten 50 Jahre ist der Kampf gegen den klimatischen Zusammenbruch nicht zu gewinnen. Leider bleibt uns für das das notwendige Handeln jetzt, nach jahrzehntelangem Ignorieren der Realität, nur noch ein kümmerliches Jahrzehnt. Denn wichtige Kipppunkte bzw. -elemente des Weltklimasystems sind bereits erreicht und manche schon überschritten:

  • Die Globale Durchschnittstemperatur ist seit 1880 um 1° Celsius gestiegen. Das nächste Grad ist nicht mehr aufzuhalten. Das bedingt:
    • Der Grönländische Eisschild schmilzt rapide. Der Meeresspiegelanstieg beschleunigt sich, aktuell 25 Zentimeter seit 1880 mit 3,3 Millimeter pro Jahr und steigend. Grönland ist für 7 bis 10 Meter Meeresspiegelanstieg gut.
    • Der Permafrost taut, Methan im Umfang von hunderten Gigatonnen droht freigesetzt zu werden. 
  • Nebenbei geht der Amazonische Regenwald geht verloren, eine der wichigsten CO2-Senken und O2-Produzenten des Planeten. 
  • Wichtige globale Meeresströmungen verändern sich. Der Golfstrom und seine Verlängerung nach Europa zeigen Schwäche, mit problematischen Folgen. 
  • Der westantarktische Eisschild destabilisiert sich. Er ist für 10 bis 15 Meter Meerespiegelanstieg gut.
Die Menschheit gleich heute dem Frosch im Kochtopf: das Wasser wird schon wärmer, aber es ist eben noch nicht heiß genug, als das wir entschlossen handeln würden. Es tut eben noch nicht weh genug. Dummerweise brennt das Feuer unter dem Topf mit ordentlichem Eichenholz und das heißt: selbst wenn wir schon morgen keinen einzigen Scheit mehr nachlegen, wird es noch lange brennen, einfach weil wir eine Menge temperaturerhöhende Systeme gleichlaufend auf Plus geschaltet haben und es immer weniger Systeme gibt, die für ein Minus sorgen. 

Das wirklich unangenehme ist vielleicht noch nicht einmal die globale Klimaerwärmung an sich. Schlimmer wird sein, das der Zeitraum kommen wird, an dem der Druck groß genug wird, als das wir handeln müssen. Ernsthaft und umfassend. Nicht, weil wir es wollen, sondern weil wir nicht mehr anders können. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte lässt es jedoch so erscheinen, als ließen sich die oben skizzierten, drastischen und weitreichenden Entscheidungen nur in Diktaturen treffen. In Demokratien werden Regierungen mit solchen Programmen offenbar nicht gewählt oder flugs hinweggespült. Das sehen wir seit Jahren in vielen Ländern: USA, Brasilien, Australien, aber auch Italien oder Indonesien.

Das Weltklimasystem lässt nicht mit sich verhandeln. Wenn der Punkt kommt, an dem die Dringlichkeit zum Handeln überhand nimmt, ist es vorbei mit der heutigen Marktwirtschaft und vor allem - dann ist es vorbei mit den Demokratien. Wo es bei der Meinungsfreiheit verschmerzbar scheint, wenn Leugner der Klimakrise mit denselben Strafen wie Leugner des Holocaust belegt werden, so wird es bei der Demokratie viel schlimmer sein. Den langwierigen Prozess des Interessenausgleichs wird es nicht mehr geben. Stattdessen wird es eine Ökodiktatur geben, und zwar eine echte, nicht die billige Version mit dem Verbot der Plastiktüte, mit der heute Angst vor den Grünen geschürt wird. Sondern die mit Programmen wie Konsumbeschränkung, Aufhebung der Reisefreiheit, Geburtenkontrolle, Schnellverfahren, Enteignungen, Verstaatlichung. Das ganze Repertoire einer Kriegswirtschaft wird nach und nach zum Instrument der vormals demokratischen Regierungen werden und werden müssen, wenn die notwendige Transformation mit der erforderlichen Geschwindigkeit ablaufen soll. Und dann haben wir eine Diktatur. Darauf steuern wir zu. Und da stehen wir dann, für Generationen, weil wir die letzten 40 Jahre zu faul und zu bequem zum Handeln waren. Spaß macht das nicht.

Noch bleibt ein wenig Zeit, dieses Szenario abzuwenden. Der nächste IPCC-Sachstandsbericht von 2020 wird hoffentlich seine gewohnte Zurückhaltung bei den Szenarien aufgeben und seine seit vier Berichten immer wiederkehrende Unterschätzung der Entwicklung korrigieren. Wenn wir dann die 20er Jahre nicht für entscheidendes und weitreichendes Handeln nutzen, werden bereits die 2030er Jahre kein Spaß mehr werden. Die heutigen Entscheider sind dann freilich schon nicht mehr am Ruder oder bereits gestorben. Fraglich, ob wir sie solche Entscheidungen überhaupt noch treffen lassen sollen.

Aktuelle Szenarien und Prognosen: 
Zu den Kosten des Klimawandels:

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