Freitag, 26. November 2010

Der permanente Ausnahmezustand

Wer erinnert sich an den letzten Monat, in welchem es keine aufmerksamkeitsheischenden Katastrophenmeldungen in der Zeitung oder im Fernsehen gab? Das ist schon länger her und so vergeht kaum ein Tag, an dem nicht das halbe Land der "stets wachsenden Terrorgefahr" zum Opfer fällt. Wohlgemerkt: wir fallen keinen Terroranschlägen zum Opfer, sondern eben nur der Gefahr. Es wird geflissentlich ignoriert, dass in Deutschland die Zahl der schweren Gewaltverbrechen seit vielen Jahren rückläufig ist und noch nie so wenig Menschen durch willentliche Gewalt starben, wie in dieser Zeit.

Wenn man sich daher absolute Zahlen ansieht, muss man angesichts der ständig verbreiteten "permanenten Terrorbedrohung" schon fast lachen: 2009 starben in Deutschland 854.544 Menschen, mehr als 96 Prozent davon einfach aufgrund von Alter oder Krankheit. Es kamen genau 441 Menschen durch gewollte, tätliche Angriffe ums Leben. Durch selbst verschuldete, nicht-gesundheitsbezogene Ereignisse und durch allgemeine Unfälle waren es übrigens rund 31.400 Menschen. Das bedeutet nichts weiter, als das die Gefahr, in Deutschland durch einen tätlichen Angriff ums Leben zu kommen, zehnmal kleiner ist als durch einen Unfall und eigene Dummheit. Sie ist im Prinzip nicht vorhanden und sollte für die Lebenswirklichkeit des einzelnen Bürgers keine Rolle spielen kann - denn wir beschäftigen uns ja auch nicht täglich damit, dass wir durch eigene Dummheit sterben. Um es salopp auszudrücken: man wird eher vom Blitz getroffen als das man ermordet wird. Der Tod durch einen terroristischen Akt ist wiederum nur eine Untermenge der Anzahl der Morde und in Deutschland betrugt die Anzahl der Toten durch ebensolche in den letzten zehn Jahren meines Wissens genau... 0. Das ist zumindest die Zahl, welche ich nach ein wenig Recherche in Erfahrung gebracht habe. Vielleicht habe ich ein paar übersehen. Durch Amok laufende Bürger unseres Landes sind es schon wesentlich mehr gewesen, allein in den letzten beiden Jahren ungefähr 30. Interessanterweise hat die politische Führung unseres Landes darauf nicht mit einer Verschärfung der Waffengesetze oder einem allgemeinen Waffenverbot reagiert, aber um der terroristischen Bedrohung zu begegnen, haben wir unsere allgemeinen Sicherheitsgesetze verschärft und spähen in immer privatere Bereiche der Menschen hinein.

Warum also der permanente Ausnahmezustand? Er hat zwei einfache Ursachen:
  • medialökonomische Ursachen: nur schlechte Nachrichten sind interessante Nachrichten. Zeitungen verbreiten nur in geringem Maße positive Nachrichten, denn nur wir interessieren uns vorrangig für schlechte. Daher schaffen es auch solche Nachrichten ohne gesellschaftliche Relevanz auf die Titelblätter, wenn nur die Bedrohung so groß wie möglich dargestellt wird. Wohlgemerkt: dargestellt (!) ist etwas ganz anderes als das tatsächliche Vorhandensein. Wenn man in der BILD die Schlagzeile liest, das sich Deutschland im Ausnahmezustand befindet, so können Sie als Normalmensch davon ausgehen, dass Sie davon nichts bemerkt haben - und auch nichts bemerken werden. Sie bekommen es nur medial mit, aber in ihrem wahren Leben zeigt sich nichts von besagtem Ausnahmezustand. Und das bedeutet schlicht: die Zeitung übertreibt. Das ist ihr Geschäft. Zeitungen leben nicht davon, zu vermelden "Alles in Ordnung. Dem Land geht es völlig normal. Keine besonderen Vorkommnisse.", sondern sie leben eben davon, permanent "Ausnahmezustand" zu schreien, wenn in Berlin Herr Schäuble mit seinem Pressesprecher streitet. Die ständige Übertreibung hat rein medialökonomische Gründe, sie dient der Auflagesteigerung oder -erhaltung, aber sie hat keine gesellschaftlich relevanten Ursachen.
  • politisch: der permanente Ausnahmezustand ist politisch gewollt, denn er rechtfertigt Aktionismus, mit dem die handelnde Regierung gut aussehen kann. Vor allem rechtfertigt er einfache Aktionen, die schnell durchführbar sind, bspw. das Absperren des Reichstages oder das Aussprechen von Terrorwarnungen. Wenn man sich in einer derart schlechten Verfassung wie die aktuelle Bundesregierung befindet, dann kann man an ihrer Stelle für ein bisschen Al-Quaida-Aktionismus schon fast dankbar sein, denn es findet sich hier eine leichte, unkomplexe und medial starke Thematik, mit der man in der Bevölkerung durch lautes Schreien leicht punkten kann. Der dadurch erzeugte Kollateralschaden am gesamtgesellschaftlichen Klima ist immens, wird jedoch von solchen geistigen Brandstiftern kaum in Betracht gezogen. Wenn beispielsweise Herr Bosbach von sich gibt: "Aus leidvoller Erfahrung wissen wir, dass Terroristen oft Tatorte mit besonderer symbolischer Bedeutung gewählt haben." dann sollte man sich nicht erschrecken, sondern die Frage stellen: "wo ist das in Deutschland passiert? Wann ist es passiert? Wer war dafür verantwortlich?" Für die letzten zehn Jahre komme ich auf so gut wie nichts. Aus leidvoller Erfahrung wissen wir also, dass Politiker im Fernsehen und in Interviews mit zusammenhanglosen Platitüden die Bevölkerung ängstigen.
Es ist enttäuschend, mit welcher Leichtigkeit sich die handelnden Politiker an der Zerstörung eines gesellschaftlichen Klimas betätigen, das Toleranz und Besonnenheit eigentlich sehr stark verinnerlicht hat. Die Bedrohung für Leib und Leben der Bürger dieses Landes durch Terroristen kann in ihrer Bedeutung kaum gering genug eingeschätzt werden - dennoch wird sie zum politischen und medialen Thema. Das ist nicht gut für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt, denn wir haben zweifellos wichtigere Themen, die uns beschäftigen müssen.

Wenn nach der Lektüre dieses Beitrages immer noch leichte Zweifel an der persönlichen Sicherheit in unserem Lande besteht, gebe ich folgenden Tipp mit auf den Weg: nehmen Sie überall eine Aktentasche mit einer scharfen Bombe mit, die dann explodiert, wenn in ihrer Nähe eine andere Bombe explodiert, d.h. dass beide Ereignisse voneinander abhängig sind. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis liegt beim Grenzwert 0. Damit wären sie also völlig sicher. ;-)

2 Kommentare:

  1. "Wenn man sich in einer derart schlechten Verfassung wie die aktuelle Bundesregierung befindet, dann kann man an ihrer Stelle für ein bisschen Al-Quaida-Aktionismus schon fast dankbar sein, denn es findet sich hier eine leichte, unkomplexe und medial starke Thematik, mit der man in der Bevölkerung durch lautes Schreien leicht punkten kann."

    So etwas kann man ja mittlerweile schon als Best Practice ansehen, hat schließlich sogar Herrn Bush anno 2004 die Wiederwahl gesichert.

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  2. "Best Practice"... *schmunzel*, den merk ich mir.

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