Montag, 8. Mai 2017

Das geht so weiter

Vor einiger Zeit schrieb ich dies:



Die Nachricht war ein guter Anstoß, diesen schon seit längerem herumliegenden Artikel fertigzustellen.

Der sich beschleunigende Anstieg des Meeresspiegels ist nur ein Symptom von vielen, die uns zeigen, dass die ruhigen Jahre des Wachstums und der Konsolidierung dem Ende zugehen. Und sie werden auch nicht wiederkehren. Die zunehmenden Unruhen, die wir seit einigen Jahren auf der Welt erleben, sind meiner Ansicht nach keine Schluckaufe, die sich wieder beruhigen werden, sondern sie sind der Beginn einer Eskalation, sozusagen des Eintritts in den steilen Teil einer exponentiellen Kurve. Was stellt diese Kurve dar? Den Übergang von einem für Menschen lebenswerten globalen Ökosystem in... einen anderen Zustand. Vielleicht kann man den Lauf der Welt mit einem sich drehenden Kreisel vergleichen, dem nun langsam die Luft ausgeht und der deshalb ins Schlingern kommt. Im Wesentlichen stehen wir, sowohl global wie regional gesehen, drei großen Herausforderungen gegenüber: 

1. Unsere Gesellschaften fliegen auseinander
Die vom Wähler in ihre Ämter gebrachten Demonteure der Demokratien wie Trump, Erdogan, Putin, Orban, Kaczyński oder Maduro sind nicht die Ursachen des Niedergangs, sie sind ihre Symptome. Ob Mauerbau in den USA gegen Mexiko oder die Abschottung Europas Richtung Mittelmeer und Naher Osten, ob Brexit oder ähnliches. All die Dinge, über die man sich in den liberal-intellektuellen Kreisen gerne als "Dummheit des Pöbels" lustig macht, sind nur eine Spiegelung der gesellschaftlich Abwärtsspirale, auf der wir uns seit Jahrzehnten begeben haben. Die Zentrifugalkräfte aller hochtechnisierten Gesellschaften nehmen seit Jahrzehnten deutlich zu. Dazu tragen viele einzelne Entwicklungen bei: das Internet und die pseudosozialen Medien, das Nachlassen am Interesse an gesellschaftlicher Gesamtverantwortung, der Individualismus und Egozentrismus, eine schlechtere Allgemeinbildung bei gleichzeitig zunehmendem Spezialistentum und Zersplitterung von Interessen und Gruppen, eine immer weiter reichende Bürokratie, dem Erstarren der gesellschaftlichen Durchlässigkeit, die Konzentration von Macht und Vermögen in den Händen weniger. All diese Herausforderungen sind äußerst problematisch, aber grundsätzlich zu handhaben, wenn wir nur weiter miteinander diskutieren und gegenseitiges Interesse aufbringen.  Die Tatsache, dass in Deutschland rund 70% der Wähler recht kontinuierlich ihre Stimmen zwei großen Parteien geben, die für Stabilität und Kontinuität stehen, zeigt beispielsweise, wie sehr eine große Mehrheit der Deutschen diese relativ ruhige Staatsführung schätzen. Global betrachtet sieht es für viele Länder weitaus schlechter aus. Ob Länder stabil sind oder nicht, hängt durchaus völlig von ihren eigenen Bevölkerungen ab. Hält man es mit der Historie, können wir uns auch fragen, ob wir heute - verglichen mit dem Römischen Kaiserreich - eher im 1. Jahrhundert oder doch im 4. Jahrhundert sind.

2. Die Ursachen von Flucht
Dieser Grund ist viel problematischer: eine stetig ansteigende Anzahl von Menschen hat immer mehr Grund, aus ihren Ländern zu fliehen: dazu zählen auseinanderfallende Staaten wie Sudan, Syrien, Tunesien oder Libyen genauso wie all die Länder, die von den Kleptokraten der Welt mit reichlicher Unterstützung von allerlei Großkonzernen ausgeplündert werden, egal ob nun in Mittelasien, Südamerika, Afrika oder Russland. Dazu kommen Staaten, in denen die Mühsal des demokratischen Prozesses zu einem Backlash geführt hat und die nun wieder abdriften in autokratische Systeme: Türkei, Bulgarien, Polen, Russland, Ägypten und andere. All diese Staaten produzieren Flüchtlinge.

Dazu kommt nun als alles überlagerndes Megathema der fortschreitende Klimawandel und die Verwüstung durch intensive Landwirtschaft, wodurch riesige, bislang fruchtbare Regionen ausgedörrt und in Wüsten verwandelt werden und wo das steigende Weltmeer Deltas und niedrig liegende Landstriche versalzt und überflutet. Nimmt man noch das Versiegen ehemals reicher Rohstoffquellen an Wasser, Nahrung und Erzen durch Übernutzung und Erschöpfung hinzu, hat man das Rezept für die Wanderungen von Abermillionen. Die Erde wird klimatisch ungemütlicher und die Menschheit trägt mit - im wahrsten Sinne des Wortes - Volldampf dazu bei, das für uns habitable Klima des Planeten für unsere Nachkommen irreparabel zu beschädigen

3. Technisierung
Die Robotisierung und Automatisierung der hochentwickelten Welt sorgt für einen kontinuierlichen Ersatz von bislang durch Menschen erledigte Arbeiten mit Maschinen. Das ist jetzt rund zweihundert Jahre recht gut gegangen. Es hat uns einen unvergleichlichen Wohlstand beschwert und die für den Lebensunterhalt notwendige Arbeitszeit für große Teile der Bevölkerung von 100 auf vielleicht 40 Wochenstunden reduziert. Diese Entwicklung führt nun aber - neben vielen positiven Effekten - zu einer Konzentration der Wertschöpfung in den Händen immer weniger Eigentümer. Denn die robotisierte Wirtschaft funktioniert im Gegensatz zur bisherigen nicht ohne immensen Kapitaleinsatz bereits vor dem Produktionsstart. Das ist eine Markteintrittsbarriere erheblichen Ausmaßes. Die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen in hochtechnisierten Gesellschaften (Gini-Koeffizient) ist ein direkter Ausfluss gerade eben dieser Entwicklung. Die USA und Japan als in dieser Hinsicht am weitesten vorangeschrittene Gesellschaften zeigen, dass der Gini-Koeffizient hier Richtung Vermögenskonzentration geht. Das wiederum wird perspektivisch zur Verarmung all der Bevölkerung führen, die zwar bislang von ihrer Hände Arbeit leben konnte, deren Arbeit nun schließlich und endlich doch wegrobotisiert und wegkomplexiert wird. Immer mehr Mitglieder unserer Gesellschaften sind schon jetzt nicht in der Lage ist, genügend Bildung zu akkumulieren, um in den immer komplexer werdenden, neuen Jobs zu arbeiten. Zwar gibt es Lösungsansätze dafür (Robotersteuer, Grundeinkommen, Hyperspezialisierung), aber es ist immer noch fraglich, ob und wie diese durchsetzbar sein werden und inwiefern diese Ansätze nicht auch zu anderen Problemen führen werden. Was wir aktuell schlicht nicht anerkannt haben ist, dass es für einen guten Teil unserer Gesellschaft natürliche Bildungsbarrieren gibt, die sie schlicht nicht überschreiten werden. Und solange wir sie dazu nicht zwingen wollen, gibt es hierfür keine Lösung.

Trotz der letztgenannten Entwicklung wird Deutschland - die Vermeidung größere Fehler in seiner Staatslenkung mal ausgenommen - zusammen mit dem restlichen Nordeuropa zumindest in diesem Jahrhundert zu einer Art Insel der Glückseligen. Gleichzeitig zerfällt jedoch an den Außenrändern Europas die Welt jedes Jahr weiter zu Staub. Wir werden die Grenzen dichtmachen und die Mauern hochziehen, das Mittelmeer patrouillieren und die Staaten an unseren Rändern benutzen, um uns die Millionen von Flüchtlingen vom Hals zu halten. Die Türkei gibt den Weg vor. Diese Entwicklung ist nahezu unvermeidlich, denn auch wenn die EU problemlos eine, fünf oder zehn Millionen Flüchtlinge im Jahr aufnehmen kann, so wird sie doch mit 25 oder 50 Millionen ein Problem bekommen, und sei es nur auf politisch-gesellschaftlicher Ebene. Wir haben in Deutschland ja die peinliche Hysterie gesehen, zu der gerade mal eine Million Flüchtlinge geführt haben.

Das Ergebnis
Während sich also die noch funktionierenden Staaten der Welt abschotten, wird auch die Ära der billigen Ressourcen zu Ende gehen. Diese Entwicklung ist begrüßenswert, denn der ungehemmte Verbrauch von Rohstoffen zur Befriedigung nutzloser Bedürfnisse eines sehr kleinen Teils der Weltbevölkerung ist schon immer eine der großen Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte. Leider jedoch bedeutet diese Entwicklung auch, das wir das Zeitfenster, in dem diese Zustände mit relativ geringem Aufwand reparabel gewesen wären, verpasst haben. Nun wird es mit jedem Jahr des Nichthandelns lediglich exponentiell wachsend teurer werden, bis die anstehenden Herausforderungen und Problem irgendwann unsere Möglichkeiten überwältigen werden, mit ihnen zurechtzukommen. Es wird keine Apokalypse geben, sondern uns einfach graduell immer stärker an den Rand drängen (vielleicht ist die erste halbe Stunde von Interstellar eine ganz gute Veranschaulichung dessen).

All das hier soll nicht ausschließlich pessimistisch klingen. Im globalen Zusammenhang sieht es danach aus, als läuft es am Ende auf eine Art Wettrennen zwischen unserem technologischen und zivilisatorischen Fortschritt auf der einen und einem ungemütlicher werdenden Planeten auf der anderen Seite hinaus. Der Ausgang dieses Wettrennens ist absolut offen und hängt lediglich von unserem gesellschaftlichen und politischen Willen ab, damit umzugehen. Die größte Herausforderung dabei ist eben, dass wir politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktionen global koordinieren und durchsetzen müssen. Und der mühselige Prozess der Klimakonferenzen und das Defektieren all derer, die jegliche verbindlichen Maßnahmen vermeiden wollen, zeigt, wie schwer das ist. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen