Samstag, 7. November 2020

Die Zeit ist um

"A person has already been born who will die due to catastrohpic failure of the planet."


Leider hat es die ausgezeichnete Serie "The Newsroom" nicht wirklich ins deutsche Fernsehen geschafft, sie lief 2011 bis 2014. Der obige Ausschnitt ist das beste fernsehtaugliche Stück über die Klimakrise, das ich kenne. Er ist klar, realistisch und vereinfacht das komplexe Thema auf zulässige Weise. 

Unsere Welt steht in Flammen. Sowohl buchstäblich wie auch im übertragenen Sinne. In den letzten zehn Jahren war fast jedes Jahr das im Durchschnitt wärmste in der Geschichte des Homo sapiens. Wir schreiten schnurstracks auf eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur von 4 Grad und eine Erhöhung des globalen Meeresspiegels von 1 Meter zu und zwar beides noch in diesem Jahrhundert. Auch wenn es schon Perioden in der Erdgeschichte gab, in denen es wärmer war und der Meeresspiegel höher lag - zu keiner dieser Zeiten gab es eine komplexe Zivilisation, die für ihr stabiles Überleben auf ein ebenso stabiles Klima angewiesen war und immer wurde das Leben an sich von den klimatischen Entwicklungen massiv beeinträchtigt. 

Währenddessen treibt meine Partei zu meinem persönlichen Leidweisen Spiegelfechterereien und schwafelt über Innovationen, die die von unserem momentanen Umgang mit der ökologischen Tragfähigkeit des Planeten angerichteten Schäden begrenzen oder sogar beseitigen sollen. Das ist eine Illusion. Ebenso, wie es die wirtschaftliche Aktivität von 8 Milliarden Menschen auf dem gesamten Planeten braucht, um jährlich aktuell 40 Gigatonnen CO2 zu emittieren, braucht es mehr oder weniger dieselbe Anstrengung, um eben jene 40 Gigatonnen zu vermeiden. Der IPPC gibt das globale CO2-Restbudget für die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles in 2018 mit 420 Gigatonnen an. Das jetzt fast drei Jahre her. Das Budget ist beim aktuellen Tempo in 2027 erschöpft und wir emittieren jährlich mehr statt weniger. Damit ist das 1,5-Grad-Ziel längst illusorisch und jedem, der mit dem Thema vertraut ist, ist klar: nur mit strikten Grenzen für den Verbrauch von natürlichen Ressourcen und Emission von Treibhausgasen wird es gelingen, den Planeten zu retten. Diese Grenzen kann man mit zwei Methoden einziehen: a) mit Kosten und b) mit Verboten. 

Die deutsche Politik eiert bei beiden herum und scheut das klare Wort. Methode a), "Kosten"  funktioniert im wesentlichen so, dass der Preis für die Inanspruchnahme von klimawirksamen Rohstoffen und im Endeffekt deren Produkten den Kosten entsprechen muss, die für die Beseitigung der Klimawirksamkeit auftreten. Was die FDP und der Rest der deutschen Politik nicht so recht kapiert, ist die Tatsache, dass die Methode "einen Preis auf klimawirksame Rohstoffe" zu erheben nur dann funktioniert, wenn man diesen Preis gesetzlich verankert bzw. bereits bei der Entnahme der entsprechenden Rohstoffe aus der Erde ansetzt. So darf bspw. die vom Staat vergebene Lizenz an ein Bergbauunternehmen, eine Tonne Kohle aus der Erde zu holen (die dann ja unweigerlich verfeuert wird und eine fixe Menge klimawirksame Gase emittiert) nicht 2 Euro kosten sondern eher so 200 Euro. Den Preis kann man versuchen, methodisch sinnvoll zu ermitteln. Nur dann wird es unter aktuellen Rahmenbedingungen wirtschaftlich unattraktiv, Kohle zu verfeuern - oder man verfeuert sie trotzdem und hat 200 Euro je Tonne mehr, die man in die Neutralisierung der verursachten klimawirksamen Emissionen steckt. Das Problem ist dennoch marktwirtschaftlich gelöst und über den Preismechanismus passen sich alle Marktteilnehmer entsprechend an. Der Markt, der ja nichts weiter als die Summe der menschlichen Teilnehmer ist, kann Probleme wirksam lösen, wenn man seine Rahmenbedingungen passend setzt. 

Methode b) funktioniert mit Dingen wie "Alle Automobile, die mehr als 3 Liter pro Kilometer verbrauchen, sind ab 2022 verboten". Und in 2025 sind es dann alle Autos, die mehr als 2 Liter verbrauchen. Das mag nach Unfreiheit klingen, ist in Wirklichkeit jedoch nur der klägliche, sehr unperfekte Versuch, nach 40 Jahren des  Wenighandelns noch so etwas wie ein Mindestmaß an Gerechtigkeit in der Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen wiederherzustellen. Schließlich ist es für einen liberalen Demokraten ein Unding, das wir eine Gesellschaft betreiben, die ihren Komfort daher erzielt, jährlich zweimal die Ressourcen zu verbrauchen, die die Erde bereitstellt und die gerechterweise auch allen späteren Generationen zustehen. Es ist schlicht eine freche Ungerechtigkeit globalen Ausmaßes, dass drei Generationen von rund 10% der Menschheit den Planeten derart in Anspruch nehmen, dass für 90% nur der Verzicht bliebe, wenn der Planet nicht binnen einer Dekade einen kreischenden Tod sterben soll. 

Das kontinuierliche, wohlstandsverwahrloste Gewinsel über den baldigen Fall von Pseudofreiheiten wie keine Tempolimits, Feuerwerken, Fleischkonsum und dem allgemein ungezügelten Konsum und Verbrauch von demnächst erschöpften Ressourcen ist in Anbetracht der Situation nur noch peinlich. Und peinlich ist auch das Gejammer eines Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt über die Schließung eines Kohlekraftwerks, an dem tendenziell 1.500 Arbeitsplätze hängen, der aber gleichzeitig ungerührt zuschaut, während sein Parteikollege im Bundeswirtschaftsministerium den Ausbau der Windenergie abwürgt, an dem in seinem Bundesland 5.000 und mehr Arbeitsplätze hängen.
Die Sicht auf Arbeitsplätze ist in der Politik merkwürdigerweise sehr selektiv: Arbeit im Kohlebergbau ist irgendwie ganz toll und Arbeit in Erneuerbaren Energien ist irgendwie ganz egal. War bei der Solarenergie auch schon so. Kaum eine Partei ist für mehr Arbeitsplatzverluste in den vergangenen 10 Jahren verantwortlich wie die Union - unter fleißiger Hilfe der SPD. 

Warum uns die Zeit ausgegangen ist, hat den simplen Grund, das das fortgesetzte Nichthandeln der Politik inzwischen einen wichtigen psychologischen Trend erzeugt hat: die eine Seite der Gesellschaft ist von diesem Nichthandeln der Politik ungeheuer frustriert und die andere fühlt sich in ihrer Verleugnung in trumpscher Manier bestätigt. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten blickt die junge Generation mit weniger Zuversicht in die Zukunft als ihre Elterngeneration, wenn es um mehr als nur das Private geht. Diese Frustration schlägt sich in Abwendung vom demokratischen Prozess, bisweilen Radikalisierung, dem Rückzug ins Private und allgemeiner Hoffnungslosigkeit nieder und führt letztlich nur zur Verstetigung der Situation. Sidenote: warum wohl sind in den letzten 20 Jahren dystopische Romane, Filme und Spiele so sehr im Mainstream angekommen?

In der Summe kommen wir zu einem kreischenden Stillstand, und der ist tödlich. Und zwar in einem ganz praktischen Sinne: die menschengemachte Klimakrise ist etwas, das man mit einem riesigen, massiven Schwungrad vergleichen muss. Über Jahrzehnte hinweg haben wir Menschen eine extrem große Schwungmasse in Bewegung gesetzt und damit eine globale Erwärmung mit ca. plus 1,1 Grad Stand heute erzeugt. Dieses Schwungrad läuft jetzt und es läuft immer schneller. Jedes Jahr realisieren wir, das bestimmte Entwicklungen Jahrzehnte früher eintreten, als in früheren IPCC-Berichten prognostiziert. Das Auftauen des Permafrostes am Polarkreis, das Schmelzen der nördlichen Polkappe und der globalen Gletscher, riesige Waldbrände, das Austrocknen riesiger Steppenregionen. Der Newsroom-Ausschnitt von oben ist von 2014. Jetzt sind es sechs Jahre später und was von den Prognosen des desillusionierten EPA-Beamten haben wir? "Mass migration" > Check, "Food & water shortages" > Check "Getting spread of deadly disease" > Check, "Endless wildfires" > Check. "Storms that can level cities": On our way. Und wir erleben heute gerade mal die harmlosen Anfänge dieser Entwicklung. 

Das Schwungrad läuft und die Erwärmung der nächsten Jahrzehnte ist nicht mehr aufzuhalten, egal was wir tun. Die 4 Grad plus werden erreicht, das ist heute bereits unausweichlich. Die im obigen Clip genannten Fakten sind real. Ich wurde bei einem CO2-Level von rund 335 ppm geboren. Heute sind wir bei 415. Wir müssen 50 Millionen Jahre zurückgehen um ein ähnliches Level zu finden. 
Die Folgen dieses Levels sind ein Gruselkabinett des Schreckens für unsere Kinder, Enkel und deren Nachkommen. Denn machen wir uns eines klar: die Menschen, die das Jahr 2100 erleben, sind heute schon geboren. Alle Kinder aus den letzten Jahren haben noch durchschnittliche Lebenserwartungen von 80 und mehr Jahren und viele werden im Jahr 2100 immer noch da sein, mit ihren Kindern und ihren Enkeln. Sie werden eine Welt erleben, die im Schnitt 4 Grad wärmer ist als unsere heute, die Millionen von Quadratkilometern nutzbarer Landfläche verloren hat, in der nutzbares Wasser knapp wird und in der eine Kriegswirtschaft auch die heute noch stabilen Demokratien zunehmend ersetzt. Und all das, weil wir in den letzten 50 Jahren um keinen Preis bereit waren, unsere Gesellschaft so umzubauen, dass sie nachhaltig gewirtschaftet hätte.



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