Samstag, 16. Januar 2010

Der Google-Staat oder Doppelmoral einer verwirrten Gesellschaft

Ich verfolge die Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen durch das Internet recht aufmerksam. Mit der Zeit beginnt sich bei mir ein interessantes Bild abzuzeichnen, v.a. wenn ich versuche mir mögliche Szenarien auszumalen, wo die Reise hingehen könnte. Hier ein kleiner Einblick in meine aktuellen Überlegungen.

Wir leben in einer Zeit des Wandels. Viele Ereignisse der jüngeren Geschichte werden von der Dynamik des Internet deutlich beeinflusst. Sehen wir da nur die letzte amerikanische Präsidentschaftswahl, oder den hypeartigen Zuspruch der Piratenpartei in Europa. Es fällt nicht schwer zu glauben, dass das erst der Anfang einer globalen gesellschaftlichen Neuordnung und eines vielseitigen kulturellen Wandels ist. Werte verschieben sich und neue Weltbilder werden geboren.

Ich bin sicher nicht der einzige, dem dies aufgefallen ist, aber es stellt sich die Frage, was dies denn mit Google zu tun hat. Google hat in den letzten 10 Jahren eine unwahrscheinlich steile und ungebremste Karriere hinter sich. Seit einigen Jahren beginnen Menschen sich Sorgen über Googles Macht zu machen. Sie haben Angst vor dem Datenkraken, der sich selbst auf die Fahnen geschrieben hat, „der Menschheit das Wissen der Welt zugänglich zu machen“. Jeder von Googles Diensten zielt direkt oder indirekt darauf ab Daten zu sammeln, zu strukturieren und wieder nutzbar zu machen. Gerade in letzter Zeit werden die sorgenvollen Stimmen immer lauter und breiten sich in die Reihen der Politik aus. – Verständlich?

In gewisser Hinsicht schon. Die Entwicklungen überschlagen sich und viele Menschen sind noch nicht an diese hohe Geschwindigkeit von sozialen Entwicklungen gewöhnt. Unsere politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sind nicht darauf ausgelegt eine derart beschleunigte Gesellschaft zu handhaben. Trotz aller Kritik, trotz aller Sorge nutzt fast jeder aktive Netizen die Dienste von Google oder „entblößt“ sich in dem ein oder anderen sozialen Netzwerk. Dieser Zwiespalt mündet in einer Doppelmoral, die sich mit unserem bestehenden Wertebild kaum lösen lässt.

Als Ausweg könnten wir aufhören die fraglichen Dienste zu nutzen, oder weil man sich diesbezüglich nicht selbst zügeln kann durch Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und internationalen Abkommen dieser Entwicklung entgegenwirken, indem man dem Internet ein Stück seiner Freiheit nimmt und somit den Nutzen einschränkt. Alternativ könnten wir unser Wertebild überarbeiten und durch ein neues Denken und Handeln neue Rahmenbedingungen schaffen, die die dieser Entwicklung zugrundeliegenden menschlichen Bedürfnisse identifizieren und stützen.

Ich kann mir vorstellen, dass man an dieser Stelle der Eindruck gewinnen könnte, dass meine Meinung hier etwas übertrieben wirkt, doch ich möchte dies gern mit einigen Beispielen und Szenarien untermauern.

Nehmen wir z.B. die politische Situation in Frankreich und Deutschland bzw. in Europa. So waren in den letzten Tagen Überlegungen Frankreichs in den Medien, eine spezielle Steuer auf Onlinewerbeeinnahmen zu erheben, die durch französische Nutzer generiert werden (auch Google-Steuer genannt). Dies ist in meinen Augen ein deutliches Zeichen für das eingeschränkte und unerfahrene Denken der Politik in Internetbelangen. Wahrscheinlich ist den agierenden politischen Organen nicht bewusst, welche nachhaltigen Folgen ihr Handeln haben kann. Wie darf man sich das Erheben dieser Steuer vorstellen? Die Idee ist, auch Einnahmen von Unternehmen zu besteuern, die ihren Unternehmenssitz nicht in Frankreich haben. Eine solche Steuer würde man beim Handel mit Importprodukten wohl durch Zoll erheben. Für ein virtuelles Gut in einem internationalen Netz ist dies allerding aus Mangel an Grenzen schwierig. Man könnte Zoll erheben, indem man die Kontrolle des innerstaatlichen Internets um ein vielfaches erhöht und so die Freiheit des Internets und somit seinen Nutzen deutlich beschneidet. So könnte man aber die Bedingung stellen, dass Unternehmen, die auf dem französischen Onlinewerbemarkt tätig sind ihre lokal generierten Umsätze vor dem französischen Staat offenlegen müssten und so die Steuer bemessen werden könnte. Letztlich ist dieses Szenario sicher ein Prototyp für die Probleme hinter dem Erheben von Zoll für virtuelle Güter und Dienstleistungen im Internet, bei denen der Nutzer „nur“ Mittelsmann ist.

In Deutschland ist die Hilflosigkeit kaum weniger ausgeprägt, wenn auch die Ideen hier noch nicht so weit fortgeschritten sind. Man hat allerdings erkannt, dass das Internet für die etablierten politischen Prozesse und Methoden ein Problem darstellt. Parteiliche Internetkompetenz ist in aller Munde, doch letztlich kann es schon systematisch nur darum gehen die eigenen Pfründe und Machtverhältnisse zu sichern. Wenn eine etablierte Partei sieht, wie ein Newcomer wie die Piratenpartei in kürzester Zeit durch virale Effekte des Internets einen nicht zu verachtenden Erfolg verbucht, sind Verlustängste vorprogrammiert. Die Möglichkeiten für eine direktere und flexiblere Demokratie sind enorm, allerdings führt diese zwangsläufig zu einer Umgestaltung von Machtverhältnissen. Nun beginnen sich die Mühlen zu drehen, und man sucht nach Optionen wie man strukturell einerseits alles beim alten lassen und andrerseits trotzdem die Chancen des Internets nutzen kann. Wird man sehen, dass dies nicht funktioniert, weil es konzeptionell einfach aneinander vorbeiläuft, werden auch hierzulande die Stimmen lauter werden, die nach mehr Kontrolle rufen.

Beide Szenarien führen in dieser Ausprägung zu der oben beschriebenen Beschränkung des Internets und somit zu einer Stagnation in seiner Entwicklung, wahrscheinlich einem Rückgang in seinem Nutzen und im Extremfall sogar dazu, dass sich die Gesellschaft wieder ein Stück zurückentwickelt. Es ist gut möglich, dass sich der Ein oder Andere diese Entwicklung sogar wünscht, in der Hoffnung dass wieder ein wenig Ruhe in dieser „wildgewordenen“ Gesellschaft einkehrt.

Ein anderes Beispiel ist der aktuelle Konflikt zwischen Google und China. Es ist ja nicht neu, gewünscht und Teil unseres demokratischen Verständnis, dass Wirtschaftslobbies und Unternehmen versuchen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Diese Entwicklung hier hat in meinen Augen allerdings das Potenzial eine völlig neue Qualität anzunehmen. Schon der Umstand, dass das Google als einzelnes Unternehmen mit seinem Handeln einen internationalen sozialen Druck auf einen Staat der Größe von China ausüben kann, ist beachtlich. Die vorstellbaren Folgen sind weitaus imposanter. Natürlich könnte es sein, dass Google sich aus dem chinesischen Markt einfach verabschiedet und bald kein Hahn mehr danach kräht. Nehmen wir aber mal an, dass Google den Kampf gegen die chinesische Regierung „gewinnt“ und seine Dienste (und sei es nach einer mehrjährigen Auseinandersetzung) uneingeschränkt weiter in China betreibt, spricht das eine Sprache, die vermutlich jede Regierung dieser Welt erschaudern lässt. Die implizite demokratische Macht, die Google durch die Unterstützung seiner Nutzer erhält wäre dann durchaus vergleichbar mit der Macht eines Staates durch die Legitimation seiner Bevölkerung. Es könnte ein erstes Zeichen für eine Umwälzung der weltpolitischen Strukturen sein, die sich wohl kaum jemand ausmalen kann.

Die Folge dieser Erkenntnis wäre wohl ein tiefer Konflikt für die bestehenden politischen Organe, überall auf der Welt. Man wird sich fragen, ob man selbst Googles Wertebild ebenso ausgeliefert ist, wie es China war. Google ist hier allerdings nur ein Stellvertreter für eine ganze Industrie. Mit seinen zur Zeit über 300 Millionen Nutzern hat z.B. Facebook durchaus ähnliches Potenzial, ganz zu schweigen von einem Szenario, in dem sich mehrere Unternehmen dieser Branche zur gemeinsamen Wahrung von Interessen zusammenschließen. Die steigende soziale Abhängigkeit der Bevölkerung eines Staates von diesen Diensten führt zu einem politischen Machtverlust, der kaum überschaubar ist. Die politische Reaktion wird wahrscheinlich wieder der Wunsch bzw. das Streben nach stärkerer Kontrolle oder gar Verstaatlichung zentraler Teile der Dienste des Internet sein.

Wer diese Szenarien liest und noch ein paar Minuten die eigene Fantasie bemüht, welche Konsequenzen dies für unsere etablierten, erprobten und erfolgreichen gesellschaftlichen und politischen Strukturen haben kann, wird möglicher Weise mit Zurückhaltung reagieren oder sich in seiner Sorge bzgl. der Macht von Google & Co bestätigt fühlen. An dieser Stelle möchte ich allerdings anregen, die bestehenden Vorurteile, Meinungen und Urteile mal vorübergehend beiseitezulegen und noch ein paar Meter weiterzudenken. :)

Für mich steht hier am Anfang die Frage, wo das Problem der Macht liegt. Das große Problem der Macht ist ihr Missbrauchspotenzial. Wir haben für uns ein System etabliert, das Machtmissbrauch zumindest ab einem gewissen Grad einschränkt. Für diesen Zweck haben wir z.B. das Konstrukt des Rechtsstaates etabliert, in dem der Staat grundsätzlich nicht mehr Rechte hat, als seine Bevölkerung. Trotzdem hat der Staat die Macht die Rechte der Bevölkerung empfindlich einzuschränken, wenn es seinen eigenen Interessen, wie dem Interesse des Machterhalts dient und irgendwie mit dem Grundgesetz in Einklang gebracht werden kann. Das Problem ist, dass bei einem extern (z.B. durch die Wirtschaft) ausgelösten Machtproblem die meisten bestehenden Parteien oder Politiker im gleichen Boot sitzen, unabhängig davon, ob sie Teil der amtierenden Regierung sind oder Teil der Opposition. So haben sie auch die Möglichkeit das Grundgesetz in einem gewissen Rahmen zu ändern.

Wir statten also unseren Staat bewusst mit der Macht aus, über uns zu entscheiden und unsere Entwicklung zu lenken. Hätte er diese Macht nicht, wäre sein Nutzen deutlich eingeschränkt, weil er seinen Zweck nur erfüllen kann, wenn er auch die Macht hat, dies zu tun. Macht ist also nicht grundsätzlich ein Problem. Wir sind schließlich selbst diejenigen, die diese Macht verleihen. Ergo muss es auch nicht zwangsläufig schlimm sein, wenn ein Unternehmen macht hat. Sicher ist auch hier Missbrauchspotenzial (wie auch beim Staat), doch das ist doch eher eine Frage der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen, oder nicht? – Wichtig ist allerdings, dass diese Rahmenbedingungen zwischen dem Unternehmen und seinen Nutzern ausgemacht werden, weil zwischen ihnen ein Verhältnis besteht, dass sich in diesem Kontext durchaus mit dem Verhältnis zwischen einem Staat und seinen Bürgern vergleichen lässt. Es wird also in einem möglichen zukünftigen System von „Wirtschaftsdemokratie“ auch völlig neue Methoden und Prozesse geben müssen, um Macht und Entscheidungsgewalt zu delegieren.

Ich denke, es muss nicht schlecht sein, wenn sich unser System grundlegend ändert und die Macht von Google ist auch kein grundsätzliches Problem. Sie wird dann ein Problem, wenn Google nicht im Sinne seiner Nutzer agiert, also seine Macht missbraucht. Momentan denkt wahrscheinlich kaum jemand in diese Richtung und ich kann mir nicht vorstellen, dass derartige Machtziele überhaupt ein Thema für Unternehmen sind. Momentan ist die Kundenzufriedenheit von Google die Substanz seiner Macht. Die Nutzer sind zufrieden mit den angebotenen Diensten, Google bemüht sich nach Kräften vertrauenswürdig zu sein und hat bisher in vielen Situationen Rückgrat und moralische Stärke bewiesen. Google macht sicher nicht alles richtig und geht an der ein oder anderen Stelle vielleicht auch Kompromisse ein, die nicht jeden überzeugen mögen, wie z.B. die langjährige Zensur der chinesischen Suchergebnisse. Letztlich ist das nichts anderes als Außenpolitik, in der eben nicht alles nur schwarz und weiß ist, wie die Grünen während ihrer Regierungszeit und Joschka als Außenminister am eigenen Leib erfahren durften. Hier muss jeder für sich entscheiden, ob er dem Unternehmen, der Partei, der Organisation trotzdem sein Vertrauen schenkt.

Die Reaktion von Google auf die Angriffe der eigenen Infrastruktur und Integrität in China finde ich sehr Konsequent. Man (Google) hat – Außenpolitisch gesprochen – versucht sich mit den Gegebenheiten des Partnerstaates (China) zu arrangieren, indem man als Zugeständnis gewisse Gepflogenheiten akzeptiert, auch wenn sie nicht ganz den eigenen Wertevorstellungen entsprechen. Wenn nun ein Partner das Abkommen durch eine kriegerische Handlung (Hacking Angriff) verletzt, ist es im Sinne der eigenen Bevölkerung (Nutzer), sich von diesem Partner abzuwenden.

Ehrlich gesagt würde ich mir oft wünschen, wenn Regierungen auf diese Weise für ihre Bevölkerung einstehen würden (SWIFT?). Der internationale Zuspruch, den Google durch sein Verhalten in dieser Sache erhält spricht hier Bände. (Wären die Konsequenzen klarer, wäre der Zuspruch aus der Politik vermutlich zurückhaltender). Wäre es eine andere Situation, ein anderer Staat, ein anderes Unternehmen, würde ich möglicher Weise ganz andere Schlüsse ziehen. Dieses Szenario hat mich allerdings zum Nachdenken angeregt. Ich finde eigentlich, dass Google das richtige tut, indem es seine Macht hier ausübt. Wenn ich hier allerdings konsequent sein möchte, kann ich nicht außer Acht lassen wie es wäre, wenn sich Googles Macht gegen Deutschland richten würde, weil sie andere moralische Grundvorstellungen haben.

Mein Schluss ist, dass ich einer solchen Entwicklung grundsätzlich offen gegenüber stehen muss, wenn ich Googles Verhalten in China für gut heiße. Ich finde, die Entwicklung hat das Potenzial, sich in eine Richtung zu bewegen, die einer stark beschleunigten Gesellschaft gerecht werden kann. Unser Verständnis von Demokratie zu überdenken und möglicher Weise alternative demokratische Konzepte zu etablieren und zuzulassen, halte ich für eine gute Idee. Ob am Ende die von der Piratenpartei propagierte Liquid Democracy der Weisheit letzter Schluss ist oder ein anderes Modell, spielt hier für mich noch keine Rolle. Ich denke aber es ist an der Zeit, einen Schritt weiterzudenken und den eigenen politischen Horizont zu erweitern.

Was Google betrifft, kann ich die aufkommende Sorge nachvollziehen, doch finde ich, wir sollten uns eine andere Lösung einfallen lassen, anstatt Verzicht und/oder Kontrolle zu üben. In der Politik erwarte ich für Google in den nächsten Monaten und Jahren einen heftigen Gegenwind, wenn die Angst vor Googles demokratischer Macht tiefer in die Politik eingedrungen ist. In meiner Eigenschaft als einfacher Bürger beobachte ich nun das Agieren von Google kritisch um zu sehen, ob ich mein Vertrauen auch weiterhin gewahrt sehe. Dass Google so viele Daten sammelt, hat für mich an Schrecken etwas verloren, und ich persönlich vertraue sie lieber Google an, als z.B. Microsoft, weil Google sich für mich bisher immer als vertrauenswürdig erwiesen hat.

Danke fürs lesen und ich freue mich über Kommentare, Backlinks, Meinungen und natürlich Tweets. :)

Dave Gööck

10 Kommentare:

  1. Ein interessanter Artikel in der ZEIT exakt zu diesem Thema: http://www.zeit.de/2010/03/01-Google?page=all

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  2. Hey Dave,
    schätze, der lange Abend hat sich gelohnt, ein guter Artikel... ;)

    Ich glaub, die Parallele Google / Staat kann man sich noch genauer ansehen. Spontane Assoziationen:

    Die Staatsmacht (= demokratischer Rechtsstaat) ergibt sich aus dem gemeinsamen Interesse seiner Bürger - Googles Macht ergibt sich aus dem gemeinsamen Interesse seiner Nutzer.
    Menschen schließen sich zusammen und ihr gemeinsames Interesse legitimiert die Macht eines Organs. Denn in irgendeiner Form sorgt dieses Organ mit seiner Macht dafür, dass es den Leuten gut geht.
    Soweit okay. Natürlich gibt es aber Unterschiede;

    1. Das Ziel, das der Rechtsstaat verfolgt, wird durch die Bürger festgelegt. Das Ziel, das Google verfolgt, wird durch Google festgelegt.
    2. Der Staats-Zweck ist die Sicherung des Wohlbefindens seiner Bürger mit irgendwelchen Mitteln. Der Google-Zweck ist dagegen ein Mittel, das im Moment zum Wohlbefinden beiträgt. Umgekehrter Kausalzusammenhang.
    3. Die Leute, die den Staat lenken, kommen durch das Vertrauen der Bürger an die Macht. Die Leute, die Google lenken, kommen durch das Vertrauen von Google an die Macht.
    4. Entsprechend hat der Bürger die Möglichkeit, Machtmissbrauch im Staat zu sanktionieren. Bei Google hat nur Google die Möglichkeit, Machtmissbrauch zu sanktionieren (sofern man Google als Macht neben den Staaten und nicht den Staaten untergeordnet versteht, wie du es in deinen Überlegungen tust).
    5. Natürlich kann der Nutzer auch Google sanktionieren, indem er Vertrauen entzieht. Das ist aber nicht mit Sanktionen im Rechtsstaat vergleichbar, es entspricht eher einer Auswanderung. Problem ist aber vielmehr
    6. Durch eine steigende Macht des Staates bleiben Sanktionsmöglichkeiten bestehen. Durch eine steigende Macht von Google nehmen Sanktionsmöglichkeiten ab.

    Das widerspricht alles nicht deinen Überlegungen, ist aber schon zu benennen und zu bedenken.

    Ich könnte mir btw eh vorstellen, dass sich mittelfristig das Problem nicht auflöst, indem wir alternative Wege von Sanktion und Kontrolle finden oder sogar Wege, ohne Sanktion und Kontrolle eine Bedrohung einzuschränken, sondern dass sich zumindest im Fall Datenschutz die Bedrohung in Wohlgefallen auflöst: Sobald die Gesellschaft ihr Konzept von Privatsphäre überdacht hat -und das könnte eine Möglichkeit sein, die Doppelmoral aufzulösen-, verliert der Datenkrake an Bedrohlichkeit.

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  3. hey anna,

    danke für deinen kommentar. - ich kann deine argumente gut verstehen und sehe das ein oder andere ähnlich. allerdings ist das eine betrachtung der heutigen situation. - mir ging es in meinem beitrag v.a. darum ein wenig in die zukunft zu sehen. während des schreibens hatte ich gefühlt unendlich viele derartige argumente an der hand und die auseinandersetzung mit jedem einzelnen, im sinne einer lösung oder adaption auf ein künftiges system, hätte aus dem ohnehin schon langen beitrag ein buch gemacht.

    ich denke durchaus, dass diese punkte zumindest qualitativ eine lösung finden müssen, wenn es zu einem anderen verantwortungsverhältnis zwischen google und seinen nutzern käme.

    dein letzter absatz ist andrerseits ein szenario, was sich gut mit meinen vorstellungen vereinbaren lässt. ich bin mir sicher, dass wir viele werte und gesellschaftliche dogmen in frage stellen müssen, um dieser doppelmoral zu entfliehen. das hinterfragen unseres konzepts von privatsphäre kann dabei ein baustein sein. solche übergänge werden voraussichtlich sogar fließend vonstatten gehen. nehmen wir das konzept der privatsphäre.
    wer heute seine partyfotos oder aktbilder bei facebook, etc. veröffentlicht, läuft gefahr, dass ein arbeitgeber bei einer bewerbung das profil checkt und man deshalb ein problem bekommt. ich glaube, dies ist nur der fall, weil (überspitzt gesagt) ein arbeitgeber heute nicht sehen möchte, dass mitarbeiter auch ein privates leben führen. diese einstellung wird sich mit der zeit rauswachsen. irgendwann gibt es von fast jedem private bilder im netz. auch von den entscheidern. möglicher weise wird dann viel mehr wert auf authentizität gelegt, auf das auftreten während des bewerbungsgesprächs oder auf ganz andere werte. ich schätze, dass solche entwicklungen das überdenken von privatsphäre implizit miterledigen werden :)

    ich bin gespannt, wie alles so kommt. ist sehr interessant, dass jetzt auch die deutschen verlage auf die barrikaden gehen und eine kartellbeschwerde eingereicht haben. wenn sie recht bekommen, werden wir alle die leidtragenden sein...

    grüße,
    dave

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  4. Ich weiß, dass es dir um sowas in deinem Beitrag nicht ging, du bist zu visionär :P Aber ich glaube, du musst die Leute in der Gegenwart abholen, um ihnen ein Szenario der Zukunft näher zu bringen.

    Genau dieses Buch würde mich daher interessieren. Das würde aus vagen spannenden Ideen konkrete spannende Ideen machen. ;)

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  5. Hallo und guten Morgen,

    Vision = Zukunft = Jetzt ?

    Zo 95% stimme uich Dir in dem Artikel zu. Den Rest bestimmt meine Phantasie. Wenn ich bedenke zu was ich in der Lage war und bin und davon ausgehe das es Menschen und Politiker gibt die weitaus Skrupeloser sind als ich es bin, sind Deine Visionen nur Kinderspielzeug, glaube es mir.
    Hinter den Tueren da oben geht es rund, Angst darum das man sich die Taschen ja dann nicht mehr auf Kosten der Dummys fuellen kann. Ups das macht ja jetz Google, nein das geht aber nicht hoere ich die gute Frau Merkel sagen. Wer soll denn dann meinen Wagen und en Friseur bazahlen, oder so aehnlich.
    Nien im Ernst das geht die Luzie ab wie die Menschen sagen und glaubt mir ich komme von der seite und weiss wo der wind weht. Was Du in Deinen Visionen realisierst ist nur ein laues Lueftchen im vergleich zu dem was real ist.

    Gruss, der mike

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  6. Hallo Dave,

    Leider muss ich meine Kommentare zu diesem langen Beitrag aufgrund einer Zeichenbeschränkung auf 4kB in mehrere Teile zerstückeln. Ich hoffe es bleibt trotzdem einigermaßen nachvollziehbar.

    Zunächst einmal hast du gesagt, das Internet stelle ein Problem für die "etablierten politschen Prozesse und Methoden" dar. Das ist in meinen Augen nicht ganz korrekt, treffender wäre wohl zu sagen, dass das Internet für die etablierte Führungselite aus Politik und Wirtschaft ein Problem darstellt. Für unsere politischen (lies demokratischen) Prozesse und Methoden stellt das Internet hingegen gerade kein Problem sondern eine Bereicherung dar, bietet es doch viel effizientere Möglichkeiten der Kommunikation und Partizipation (wie von dir ja bereits am Beispiel der Piratenpartei angesprochen).

    Weiterhin hast du angenommen, dass Internet könnte jetzt, nachdem es einmal als freies Medium den Menschen vertraut geworden ist, wieder "einfach so" kontrolliert und zensiert werden. Ich halte das für einen Irrtum. Man kann Menschen eine einmal gegebene Freiheit nicht ohne weiteres wieder wegnehmen. Dazu bedarf es zunächst viel Propaganda und schließlich totalitäre Gewalt. Die Propaga liefert gewissermaßen die Vorarbeit. In der Regel wird hier gezielt die Angst der Menschen geschürt, was zu einer größerem Bedürfnis nach Sicherheit führt. Diese Sicherheit könne letztlich nur um den Preis einiger weniger wichtigen Freiheiten ermöglicht werden. Auf diese Weise kann sich eine Regierung also Schritt für Schritt in Richtung Freiheitsentzug bewegen (besonders beliebt erscheint mir dabei die Drei-Schritte-vor-Zwei-Schritt-Zurück-Taktik zu sein; dazu haben die letzten acht Jahre mit Schäuble als Innenminister genug Lehrbeispiele gegeben). Aber spätestens wenn eine gewisse Anzahl von Menschen von den Auswirkungen dieses Freiheitsentzug unmittelbar betroffen ist, zerfällt die mühsam aufgebaute Propaganda in sich zusammen und die Mehrheit der Bevölkerung wird versuchen, ihre Freiheit mit allen Mitteln zurückzugewinnen. An dieser Stelle muss die Regierung - will sie an ihrer Entscheidung festhalten - folglich ihr Gewaltmonopol gegen die Mehrheit des Volkes einsetzen. Dass das dann das Ende der Demokratie bedeutet brauche ich wohl kaum hinzuzufügen. Damit sind auch weitere Überlegungen über die wirtschaftlichen Aspekte einer Internetzensur hinfällig.

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  7. Weiterhin finde ich es gut, dass du die Folgen der politischen Einflussnahme von multinationalen Unternehmen auf einzelne Regierungen erkannt hast. In diesem Zusammenhang solltest du aber nicht vergessen, dein Augenmerk auch auf die anderen vielen multinationalen Unternehmen zu richten. Auf dem Fortune 500 Index der größten Unternehmen landet Google immerhin (bisher) erst auf Platz 423. Man muss sich nur mal fragen, welchen Einfluss beispielsweise die großen Ölkonzerne wie Shell, BP, Chevron und Total oder die großen Automobilkonzerne wie Toyota, Volkswagen und General Motors oder die großen Energiekonzerne, die großen Nahrungskonzerne usw usf auf die vielen Regierungen dieser Welt haben, und schon hat man sich eine Weile um den Schlaf gebracht. Aber an dieser Stelle hat Google mit den gewaltigen Mengen persönlicher Daten natürlich einen unschätzbaren Vorteil, der sich nicht direkt in den Umsatz- und Gewinnzahlen ermessen lässt, und verdient daher auch besonderer Aufmerksamkeit. Natürlich kann niemand die Gefahr bestreiten, die von einer Möglichen Kooperation zwischen Google und den Geheimdiensten dieser Welt ausgeht. Gerade das Beispiel Yahoo hat gezeigt, wie realistisch solche Szenarien sind. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International raten ihren Mitgliedern deshalb ausdrücklich davon ab, zur Komminikation die Dienste von Google und co zu benutzen.

    Die Entscheidung, ob man den offiziellen Äußerungen Googles nun trauen kann oder nicht, muss am Ende wohl jeder für sich beantworten. Ich für meinen Teil würde gern an die Existenz von moralischen, d.h. umwelt- und insbesondere menschenfreundlichen, multinationale Unternehmen glauben. Allerdings muss ich vom empirischen Standpunkt her arge Zweifel anmelden, denn damit wäre Google vermutlich der allererste Fall. Auch erscheint mir der durch die Weltwirtschaft systembedingte Druck zu hoch, als dass es sich ein Unternehmen von dieser Größe leisten könnte, seine finanziellen Interesse an die zweite Stelle zu rücken. Im Bezug auf China muss ich also davon ausgehen, dass Google mit dem Boykott eher finanzielle oder machterweiternde Ziele verfolgt und das ganze nebenbei als moralische Tat verkauft und damit sein (leicht angeschlagenes) Image aufbessert.

    Eine große Gefahr sehe ich allerdings in der Verwechslung von dem transnationalen Unternehmen Google mit der transnationalen Kommunikationsarchitektur, dem Internet (der wohl wichtigste Unterschied liegt in der dezentralen und offenen Organisation des Internets gegenüber einer klar zentralen und geschlossen Organisation der Google Inc). Die Frage, inwiefern Staaten Internetseiten zensieren hat demnach auch erstmal wenig bis gar nichts mit Google zu tun - und sollte daher auch gesondert behandelt werden.

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  8. An dieser Stelle habe ich mich einmal getraut, dir bei deinen weitergehenden Informationen zu folgen.

    Ich gehe soweit mit, dass der Unterschied zwischen der Macht eines (großen) Staates und der Macht eines (großen) Unternehmens sehr gering ist. Die Jahresumsätze der größten Unternehmen übersteigen ja bereits das Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten, und Geld ist wohl einer der zuverlässigsten Indikatoren für Macht. Man muss in Einzelfällen auch längst zugeben, dass einige (vor allem kleinere) Staaten unter der völligen Kontrolle von Unternehmen und/oder anderen Staaten stehen, die Grenzen sind ja mitunter sehr unscharf. Nun sprichst du zu Recht die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen an, und wenn du das so schreibst, könnte man glatt für einen Moment versucht sein, anzunehmen, dass dieses Unterfangen tatsächlich möglich wäre. Wenn ich also für diesen kurzen und glücklichen Moment mal vergesse, dass wir hier von dem Versuch der Zähmung einer GEWALTIGEN Macht sprechen (nämlich genau der Macht die es innerhalb der letzten 6000 Jahre geschafft hat, fast die gesamte Weltherschaft an sich zu reißen), dann stellt sich natürlich die Frage, wie solche Rahmenbedingungen einer "Wirtschaftsdemokratie" aussehen könnten. Eine der wichtigsten demokratischen Grundlagen ist bekanntermaßen die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Folglich müsste die Welthandelsorganisation, welche derzeit quasi die globale Legislative und Judikative in sich vereint in ein Welthandelsgericht und ein Welthandelsparlament getrennt werden. Letzteres müsste in allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Abstimmungen durch das Volk (in diesem Fall die Nationen) gewählt werden. Zu diesem "Volk" müssten natürlich ALLE Nationen der Welt gehören (derzeit haben nur ausgewählte Nationen einen Sitz in der WTO, über die Aufnahme weiterer Staaten muss per 2/3tel Mehrheit abgestimmt werden). Auch müsste sich am Wahlsystem der WTO-Ministerkonferenz einiges ändern, zum Beispiel dürften nicht abgegebene Stimmen nicht einfach als "Ja" gewertet werden, wie derzeit der Fall. An dieser Stelle möchte ich dieses naiv-optimistische Gedankenexperiment dann auch wieder beenden. Wie bereits angedeutet halte ich eine derartige friedliche Zähmung der Machtkonzentrationen für aussichtslos.

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  9. hey gregor,

    danke für deine netten kommentare :) - leider habe ich das gefühl, ich habe mich an ein paar punkten wohl nicht so optimal ausgedrückt. zumindest lese ich in deinem kommentar andere dinge, als die, die ich meinte :) - darum noch mal ein paar zeilen...

    zum einen gebe ich dir völlig recht mit deiner aussage, dass eine kontrolle des internet höchstwahrscheinlich zu totalitarismus führt, sofern sie von oben oktruiert wird. ich halte das auch für alles andere als sinnvoll. :)

    politische einflussnahme der wirtschaft auf die politik gibt es schon immer und das wollte ich nicht betrachten. es ist natürlich logisch, dass unternehmen, wie daimler, shell, etc. auch einen gehörigen politischen einfluss haben, aber dieser einfluss geht in meinen augen einen anderen weg als der von google.

    soziale medien im allgemeinen haben hier für mich eine andere bedeutung, da der bezug des nutzers zum anbieter ein völlig anderer ist als der des kunden zu einem ölkonzern oder automobilkonzern. sollte sich die entwicklung weiterhin in dieser richtung bewegen und beschleunigen, könnte das verbot bzw. die einschränkung einer sozialen plattform schnell schwerwiegende soziopolitische folgen haben. heute ist das szenario noch nicht realistisch. in naher zukunft vielleicht schon. ich möchte hier noch einmal betonen, dass es mir nicht um heute geht, sondern um unsere nahe zukunft der nächsten 20 jahre.

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  10. in deinem gedankenspiel zur "wirtschaftsdemokratie" gehst du von einem globalen staat aus, mit wirtschaftlichen staaten als globaler regierung. - ich denke eher daran, dass ein unternehmen wie ein staat ist und seinen "bürgern" gewisse leistungen bietet (schutz, infrastruktur, rechtssicherheit, ...). natürlich müsste man hier sehen, wie demokratische entscheidungsprozesse tatsächlich in einem solchen kontext aufgebaut sein könnten. - die gewaltenteilung wird dabei eigentlich kein problem sein, weil es einfach ist, exekutive und judikative in einem jeweil eigenen kontext zu betrachten. - interessant, wenn es um entscheidungsfundung und demokratische prozesse geht, ist doch ohnehin immer die legislative.

    ich denke übrigens nicht, dass google sein finanzielles interesse an zweite stelle stellt. das ist für ein moralisches handeln auch nicht nötig. ich denke allerdings, dass es für ein unternehmen ebenso wie für einen menschen von nachhaltigem interesse ist, eine gewisse symbiose mit seiner umgebung einzugehen. ein mensch, der sich anderen gegenüber regelmäßig unmoralisch verhält, wird letztlich irgendwann darüber stolpern. bei unternehmen ist das doch das gleiche. - also ist ein moralisches handeln sicher nicht schlecht für die quartalszahlen ;) - ist es denn falscher, das richtige zu tun, wenn man es aus egoistischen motiven heraus macht?

    so, jetzt bin ich erst mal wieder raus...

    viele grüße,
    dave

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