Die Aufregung über die Veröffentlichung hunderttausender US-amerikanischer Botschaftsdepeschen aus den letzten Jahren kommt mir etwas übertrieben vor - und konsequenterweise ist sie auch schnell wieder abgeebbt. Ich muss fragen, ob es wirklich spannend ist und eine Belastung für die politischen Beziehungen zweier Länder darstellt, wenn wir nun wissen, dass der amerikanische Botschafter in Berlin Merkel für eine Teflon-Kanzlerin hält, an der vieles abprallt und die hauptsächlich auf die innenpolitische Bühne zielt, das er Westerwelles außenpolitische Kenntnisse für vertiefungsfähig hält und Niebel als eine überraschende Wahl für einen Minister erachtet? Ist es eine interessante Information, dass Horst Seehofer bei einem Gespräch mit dem Botschafter nicht weiß, das von 40.000 amerikanischen Soldaten in Deutschland 20.000 in Bayern stationiert sind und sich dieser Botschafter darüber wundert?
Nein, dass ist nur bedingt so und ich stelle fest, das die amerikanische Botschaft in Berlin offensichtlich so ziemlich dieselben Ansichten wie die Mehrheit der Bevölkerung hat und ganz sicher dieselbe Analysefähigkeit wie ich sie selbst auch habe, besitzt. Jetzt stellt sich also die Frage, wo denn nun die wirklich spannenden Themen sind, die echten Geheimnisse der diplomatischen Kunst, die Ränkeschmiede, die James-Bond-Ermittlungsnummern um gerade noch verhinderte Weltkatastrophen? Diese scheinen sich in den Dokumenten nicht zu finden. Da uns diese aber einen recht intimen Einblick in die diplomatischen Gedankengänge der USA gibt, sollten sie so etwas doch eigentlich widerspiegeln? Tun sie nicht.
Kann es also sein, dass die amerikanischen Vertretungen in Deutschland nicht mehr subversive Informantentätigkeit durchführen, als ein bisschen Tratsch und Klatsch über die und von den führenden deutschen Politiker weiterzuleiten um dem amerikanischen Außenministerium deutsche Befindlichkeiten nahezubringen? Wo bleibt die knallharte Wirtschaftsspionage, wo die gezielte Beeinflussung deutscher Führungskräfte zu Gunsten der amerikanischen Interessen, wo die subversive machtpolitische Aktivität? Müssen wir uns am Ende der simplen Realität stellen, dass auch für die Vereinigten Staaten nur ganz normale Menschen mit ihren ganz normalen Kapazitäten arbeiten, die am Ende des Tages ihren ganz normalen Job gemacht haben - und sei es, dass dieser darin besteht, Deutsche einzuschätzen? Der Actionfaktor scheint in der Angelegenheit doch eher gering zu sein.
Worin besteht nun der eigentliche Clou der Veröffentlichung dieser Dokumente? Ich vermag es noch nicht zu sagen, aber ich habe eine gelinde Hoffnung: die handelnden Personen der verschiedenen Regierungen, die ihre eigentlich mehr oder weniger vertraulichen Aussagen plötzlich in der Öffentlichkeit wiederfinden, mögen doch den Wert von Privatsphäre zu schätzen lernen. Denn letztlich geht es darum: wenn ich jemand anderem etwas vertrauliches erzähle, möchte ich davon ausgehen können, das der es nicht an die große Glocke hängt, sondern sinnvoll damit umgeht. Ich meine nicht, dass es ein Recht der normalen Öffentlichkeit gibt zu erfahren, was zu Guttenberg bei Clinton über Westerwelle gesagt hat. Nicht alles, was man so im Gespräch daherredet, ist eine Meldung wert. Nicht alles, was einer gemütlichen Atmosphäre abends in der Bar von Mensch zu Mensch gesprochen wird, rechtfertigt staatlichen oder gesellschaftlichen und schon gar nicht medialen Aktionismus. Das Recht auf Klatsch und Tratsch billige ich auch einem Finanzminister oder einem Botschafter zu ohne das ich als Bürger darüber informiert werde.
Und daher kommen nun vielleicht manche Menschen an regierungsverantwortlichen Positionen zu der Erkenntnis, das ein bisschen Privatsphäre doch eigentlich eine feine Sache ist. Vielleicht halten sie sich daher in Zukunft mit deren Aushöhlung und der immer stärker um sich greifenden wir-müssen-alles-schriftlich--für-ewig-speichern-und-offenbaren-Mentalität zurück. Wenn der Wikileaks-Vorfall das erreicht, wäre es eine wunderbare Sache und wertvoller, als die banalen Einblicke in die Botschaftsrealität.
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