Freitag, 21. August 2015

Die Flüchtlingszahlen steigen, aber sie sind nicht das Problem.

Vor einigen Tagen schrieb ich noch, dass wir für 2015 mit rund 400.000 Flüchtlingen in Deutschland rechnen sollten. Und ich meinte auch: "Ob wir in fünf Jahren mit einer Million Flüchtlinge und in zehn Jahren mit zwei Millionen pro Jahr umgehen werden können, ist fraglich."

Nur wenige Tage später hört sich das schon wieder wie Makulatur an, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt:
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann rechnet mit einem Anstieg um rund ein Drittel: "Wir steuern auf 600.000 und mehr zu", sagte der CSU-Politiker. (Quelle)
Und noch ein paar Tage später kommen schon wieder neue Hochzahlen:
"Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr zwischen 700 000 und 800 000 Flüchtlinge in Deutschland bekommen werden", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Dienstag in Berlin. (Quelle)
Sagen wir mal siebenhundertfünfzigtausend Menschen. Allein in 2015. Das ist einmal Frankfurt. Oder zweimal Bochum. Oder dreimal Magdeburg. Ob wir an Anbetracht dessen noch fünf Jahre Zeit haben, bis eine Million jährlich kommen, ist also eher zweifelhaft. Umso mehr wird ein gemeinschaftliches Handeln im Angesicht dieser ungeheuren Migrationsbewegungen immer wichtiger. Jetzt rächt sich (einmal wieder) Deutschlands feiges Nichtstun während der letzten Jahre, was die Reform des Dublin-Verfahrens angeht. Solange die Länder mit den Außengrenzen der EU die Flüchtlinge davon abhielten, innerhalb der EU weiterzureisen, war das sehr bequem für die deutschen Innenpolitiker. Jetzt haben die südlichen Länder die Hände hochgenommen und winken die Massen eben durch - geschieht uns recht.

Nicht Deutschland oder andere europäische Länder im Alleingang, sondern die EU als Ganzes müssen nun viele neue Wege einschlagen, um vieles tun:
  • die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen bekämpfen, z.B. den Bürgerkrieg in Syrien
  • die Antragszeiten beschleunigen, egal bei welchem Ergebnis
  • die Flüchtlinge schneller arbeiten lassen
  • die Unterkunftssituationen verbessern
  • die Integrationsangebote und Pflichten zu verbessern und ebenso durchzusetzen
  • die menschliche Seite der Flüchtlingsschicksale verstärkt in den Blick nehmen und traumatisierte Menschen unterstützen
750.000 Menschen klingt nach viel. Aber: Deutschland hat mehr als 11.000 Gemeinden und im Durchschnitt hat eine Gemeinde rund 7.100 Einwohner. 750.000 Menschen auf diese 11.000 Gemeinden zu verteilen bedeutet, dass jede Gemeinde nicht einmal 70 Menschen aufnehmen muss. Gerade einmal 70 neue Menschen für 7.100. Und da ja ohnehin mehr als die Hälfte der Asylsuchenden abgewiesen werden und wieder gehen (müssen), bedeutet es eher 30 Menschen. In Großstädte mit 350.000 Einwohnern also vielleicht 1.500 Menschen. 0,4%. Next to nothing.

Man sieht: die Zahlen sind nicht das Problem. Das Boot ist nicht voll. Wir werden nicht überschwemmt. Es ist unser Umgang mit dem Thema, der von psychologischer Hilflosigkeit im Angesichts der humanitären Katastrophe geprägt ist. Und von Feigheit, wie ihn beispielswiese die sächsische Staatsregierung an den Tag legt, wenn es darum geht, den rechten Mob rund um Pegida einzugrenzen und dafür zu sorgen, dass unser Land nicht täglich neuen Schaden nimmt.

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