Sonntag, 1. April 2012

1,70 € sind noch lange nicht genug

Und wieder hört und liest man das altbekannte Heulen und Zähneknirschen, wo der Benzinpreis mit 1,70 Euro einen neuen Höchststand erreicht hat und diesen - mutmaßlich - bald noch signifikant und auch dauerhaft überschreiten wird. Dabei sind auch 1,70 Euro bei weitem zu billig. Auch 2,50 Euro entsprächen nicht dem eigentlich notwendigen Preis und selbst 4 Euro wären noch zu günstig. Denn bei Öl handelt es sich um einen nicht-regenerativen Rohstoff, dessen Preis schwer einzuschätzen ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Rohstoffen, die wir dringend benötigen, die aber nachwachsen, wächst Öl weder nach noch erneuert es sich in brauchbaren Zeiträumen von selbst. Der eigentliche Preis, den man für solch einen Rohstoff ansetzen müsste, wären seine Wiederbeschaffungs- oder Substitutionskosten. Täten wir dies jedoch, läge der Preis für ein Barrel Öl bei einem Wert, der vieleicht zehn, zwanzig oder fünfzig Mal so hoch wäre wie der jetzige. Und da wir Öl für viele Zwecke abseits des Verfeuerns in Verbrennungsmotoren benötigen, ist längst die Zeit überfällig um zu erkennen, das die paar Jahrzehnte des billigen Benzins zu Ende gehen. Es ist unausweichlich, dass der Treibstoff der westlichen Wohlstandsgesellschaft in den nächsten Jahren stetig teurer werden wird.

Für diese Erkenntnis braucht man noch nicht einmal den Begriff des "Peak Oil" zu strapazieren, sondern man muss sich nur ein paar Tatsachen verdeutlichen:
  • dass die weltweite Ölnachfrage stetig wächst, während die globale Förderkapazität seit Jahrzehnten so gut wie stagniert und die jährliche Exploration neuer Fördermöglichkeiten und -mengen seit 30 Jahren kleiner ist als die jährlich geförderte Menge.
  • das weiterhin viele der wichtigen, großen, alten Ölfelder seit mehreren Jahren in die Stagnationsphase eingetreten sind und ihre Ergiebigkeit sinkt
  • das die Ölförderer außerdem nicht genug in die Exploration neuer Fördergebiete investieren, um die Verluste der bestehenden Gebiete zu ersetzen
Daraus folgt, dass die globale Ölfördermenge in den kommenden Jahren sinken wird. Problemtisch für unsere Zivilisation ist dabei, das Öl mit seinen Eigenschaften als leicht transportabler, einfach zu handhabender Energieträger und Rohstoff nur unzureichend und nur unter hohen Kosten substituierbar ist. Und jeder weiß: wenn von einem Gut mehr nachgefragt als angeboten wird, steigt dessen Preis. Dagegen kann keine Regierung wirklich etwas tun und es ist lachhaft, etwas anderes zu behaupten. Unser Leben wird sich also wieder ändern: denn wenn die Kosten unserer ohnehin fragwürdigen, ungehemmten (Auto-)Mobilität steigen, wird es sich beispielsweise mehr lohnen (oder auch nicht mehr finanzierbar sein), Wohnen und Arbeiten zu trennen und täglich Dutzende von Kilometern hin- und zurückzulegen. Es wird teurer werden, Güter quer durch Europa zu verschicken und anzubieten und Just-in-Time-Produktion zu betreiben. Güterpreise werden steigen und der automobile Verkehr wird geringer werden.
Oder um es anders auszudrücken: es wird teurer werden, auf Kosten der Umwelt zu billige Mobilität in Anspruch zu nehmen. Statt monatlich 50 bis 100 Euro für Benzin auszugeben, werden es bald 100 bis 200 Euro und weiter steigend sein. Wir werden unsere Zersiedelungskultur und das Häuschen im Grünen infrage stellen, die ländlichen Speckgürtel werden wieder leerer werden, ihr Wert wird fallen, während der ÖPNV und die städtischen Zentren an Attraktivität gewinnen. Autos werden an Bedeutung verlieren - wie sie es in Deutschland schon seit Jahren tun - und Mobilitätsalternativen gewinnen.

All das ist zu begrüssen. Wir haben in nur einem Jahrhundert vermutlich die Hälfte des globalen, in mehreren Miilionen von Jahren entstandenen Öls verfeuert. Das das nicht lange so weitergehen kann, ist offensichtlich. Dabei besteht keinerlei Grund zur Panik: noch hat die Knappheit einer Ressource zum Untergang einer Zivilisation geführt. Stattdessen triggert sie den technologischen und gesellschaftlichen Wandel.

5 Kommentare:

  1. Das hier beschriebene Szenario ist noch eher mild, denn Öl bestreitet einen erstens riesigen Anteil unseres Energiekonsums und ist zweitens in vielen Bereichen schlicht lebensnotwendig - zuallererst als Treibstoff in der industriellen Landwirtschaft, welche die Ernährung eines großen Teils der Weltbevölkerung sichert.

    Die Internationale Energieagentur rechnet sogar mit einem Rückgang der bestehenden Quellen von rund 6 % jährlich, das ist ganz schön viel, über 60 % in 15 Jahren. Aus der hohen Wichtigkeit des Erdöls folgt bei Verknappung ein hoher Preis, das ist ganz so wie beim Brot in Hungerzeiten. Nach einer Phase, wo man erst einmal Überflüssiges wegläßt, und dann die einfachen Einsparungen wie Bildung von Fahrgemeinschaften realisiert, dürfte es dann zunehmend an die Substanz gehen. Entscheidend ist der Faktor Zeit, und die beschränkten, verfügbaren Informationen sprechen eher dagegen dass es eine glatte und schmerzfreie Anpassung wird.

    Hinzu kommt, dass die Ökonomien der Schwellenländer sich im Aufbau befinden, deswegen naturgemäß anpassungsfähiger sind und sehr wohl mit den OECD Ländern bei der Versteigerung von Energie konkurrieren können.

    Es gibt aber sehr wohl Dinge, die man tun kann und die auch verünftig sind für Leute, die kein Alptraumszenario teilen. Vor allem muss man wo immer es geht, Öl einsparen und substituieren, durch nachdrückliche Wärmdämmung, überprüfte Energiezertifikate bei Mitwohnungen, elektrischen ÖPNV, Verlagern des Gütertransports auf die Schiene. All das ist teilweise schon heute preisgünstiger, und bei einem weiterem Stagnieren der Ölförderung gibt es gar kein besser investiertes Geld. Wichtig ist, die unvollkommene Technik zu nutzen, die wir haben, statt einer inexistenten idealen, die man sich oft erträumt.

    Eine weitere Schwierigkeit sind die starken Preisfluktuationen, die aus der geringen Preiselastizität resultieren - wenn mehr Druck im Kessel ist, wird der Preis sehr hoch, fällt die Wirtschaft dann in Ohnmacht, erholt sich der Preis zeitweise. Das ist schlecht, weil so der Aufbau eneuerbarer Alternativen schlecht plan- und finanzierbar ist, der Bau von Windparks, Anschaffung von Elektroautos u.ä. wird so zum finanziellen Roulettespiel. Eine machbare Gegenmassnahme ist jedoch, die Mineralölsteuer so umzugestalten, dass progressiv und dauerhaft ansteigende Bruttopreise resultieren, und Überschüsse aus Phasen temporär niedriger Weltmarktpreise in die Finanzierung der Erneuerbaren und Effizienztechniken zu stecken.

    Mag für viele wie Sozialismus klingen, jedoch sind wir da anscheinend in einer Lage wo's die Märkte nicht regeln werden. Und natürlich sind schon Zivilisationen wie die der Maya oder der Osterinsel aufgrund des Raubbaus ihrer Ressourcen untergegangen. Eine Parallele zu den Risiken unserer heutigen Situation sehe ich am ehesten zur irischen Großen Hungersnot von 1845, wo eine Million Iren verhungerten, nachdem ihre aus Südamerika eingeführte Hauptnahrungsquelle, die Kartoffel, nach einem starken Anstieg der Bevölkerung wegen der Kartoffelfäule für mehrere Jahre ausfiel.

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    1. Ein Nachtrag:

      Ich hab nicht deswegen von Maßnahmen geschrieben, weil ich denke dass ich die Lösung habe. Niemand hat sie, es ist nur einfach nicht wahr dass man nichts Sinnvolles tun kann. Die Wahrheit ist, dass ich des öfteren mit Gänsehaut wach werde und mir das ganze Thema erhebliche Angst macht - Angst um meine Zukunft, um die junge Generation meiner Familie, Angst um uns alle.

      Peak Oil ist kein technisch zu lösendes Problem sondern läßt sich nur kollektiv angehen, die Antwort darauf wird eine neue Art zu denken erfordern. (Zafolo)

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  2. @ Zafolo: insgesamt kann ich dem Kommentar zustimmen. Lediglich was die Lösung des Problems des zunehmenden Ölpreises angeht, bin ich viel weniger pessimistisch. Es wird sehr wohl zu einer Änderung unseres Lebenstiles kommen, aber kaum dazu, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft daran untergeht oder es zu Hungersnöten u.ä. kommt. In dem Maße, wie der Ölpreis steigt, werden Alternativen konkurrenz- und marktfähiger, wodurch eben die Ölnachfrage selbst sinken wird. Die Menschheit ist sehr erfindungsreich und anpassungfähig - das wird sie auch hier sein. Warum keine solarbetriebenen Traktoren, selbstfahrende Elektroautos auf den Autobahnen und der weitere Ausbau von Niedrigenergiehäusern ohne eine Form von Verbrennungsheizung? Warum keine gigantischen Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen, die Nordeuropa stabil mit billigem, gespeichertem Windstrom aus der Nordsee versorgen? Warum nicht das DESERTEC-Projekt umsetzen und damit Südeuropa mit Strom versorgen? Ich denke, da wird uns schon genug einfallen... die Umsetzung ist das Entscheidende, nicht die Lösungsmöglichkeiten. Die haben wir.

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  3. Christian, Du gehst davon aus, dass Alternativen einfach zur Verfügung stehen. Zum Heizen und zur Stromerzeugung gibt es sie in gewissem Umfang. Das ist lösbar mit Niedrigenergiehäusern und Wärmespeichern, man muss aber bedenken dass der Ersatz des Wohnungsbestandes im günstigsten Fall 20 Jahre dauert, die wir vielleicht nicht mehr haben.

    Bei Treibstoffen ist das ein großes Problem. Man kann nicht einfach eine Technik, die es nicht gibt mal eben so erfinden. "Elektroautos" (also im Sinn von akkubetriebenen PKWs) funktionieren am besten in der Stadt und im wohnortnahem Pendelverkehr. Dort braucht man sie aber meistens gar nicht, das geht auch mit ÖPNV, von Lieferdiensten und Krankenpflege mal abgesehen.


    Kern des Problems ist, dass Erdöl/Erdgas als Energieträger bisher unerreicht ist. Akkumulatoren haben weniger als 1/100 der Energiedichte von Benzin, deswegen können sie Ölprodukte im Güterverkehr nicht ersetzen. Klar, man könnte Autobahnen mit Oberleitungen ausrüsten... dann gibt es aber immer noch die Landwirtschaft, und die ist /extrem/ abhängig vom Erdöl.

    Dazu kommt, dass unsere Ökonomie vielfältigste Rückkopplungen aufweist und in diesen spielt Erdöl eine extrem große Rolle. Es fällt bloß bisher nicht auf, weil es immer noch so billig ist, aber fast alles was mit stofflicher Produktion und Transport zu tun hat, hängt vom Öl ab. Die Erdölgestüzte Industriegesellschaft ist eben auch ein selbsterhaltendes (autopoietisches) System, bis hin zu den militärischen Strukturen, und fällt ein Element davon aus, hat das vielfältige nichtlineare Wechselwirkungen. Oder einfacher gesagt, Ölknappheit wird schnell zu einer massiven Ökonomischen Krise führen, und dann nützen alle diese schönen technischen Möglichkeiten nicht mehr, weil man auch Geld und Energie braucht um sie umzusetzen.

    Ich will beileibe nicht sagen, dass man nichts tun kann oder soll, aber die Welt in der wir leben werden falls wir diese Zeitenwende meistern, wird wahrscheinlich sehr, sehr anders aussehen als unsere Welt heute.

    Eine sehr gute Zusammenfassung zu diesen Themen, der ich großteils zustimme, bietet übrigens Tom Murphys Blog "Do The Math": http://physics.ucsd.edu/do-the-math/2012/02/the-alternative-energy-matrix/

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  4. Schöner Text, besonder aus volkswirtschaftlicher Sicht ;)
    Werde ihn mal weiter empfehlen, an meine VWL - Lehrerin ;)
    Die freut sich bestimmt sowas zulesen, wenn sie Zeit hat ;)

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