Freitag, 1. April 2011

Die Nutzung der Kernenergie muss enden

Ich war nie ein Gegner der Kernenergie. In meinen Augen gehörte sie als eine von vielen Energiequellen zu einem Mix von mehreren risiko- und problembehafteten Methoden, um uns mit Strom zu versorgen. Kohlekraftwerke erzeugen CO2 und der Kohleabbau zerstört ganze Landschaften, Wasserkraft bedeutet meist Staudämme in ansonsten schönen Gegenden und ziemlichen Naturverbrauch (man blicke nur nach Assuan oder zum Jangtsekiang), Windräder sind in manchen deutschen Landstrichen so zahlreich wie Bäume geworden, sie kosten Nerven und werden hoch subventioniert, ebenso wie die Solarenergie die selbst auch ziemlichen Müll hinterlassen wird. Kernkraftwerke arbeiten meist im Stillen, unauffällig, sind recht selten und bedeuten einem daher eigentlich nicht viel. Es sei denn vielleicht, man wohnt neben einem und dann arbeitet man möglicherweise darin und hat schon deswegen wenig Bedenken gegen ihren Betrieb. Im Wesentlichen begegnete ich der Kernenergie also mit Gleichgültigkeit und Gelassenheit und kümmerte mich nicht sehr darum.

Die letzten Wochen haben meine Ansicht dazu geändert. Ich habe viele Beiträge in Zeitungen gelesen, mich auf Fachseiten über Kernkraftwerke, Endlagerung und bisherige große Unfälle informiert, vor allem die von Tchernobyl und Harrisburg, und mein Wissen um das Thema erweitert. Meine Erkenntnis ist einfach: die Kernspaltung ist von Menschen nicht ausreichend sicher beherrschbar. Wenngleich wir die Technologie der Kernspaltung selbst vielleicht in einem genügend sicheren Maß bereitstellen können, so gibt es drei große Problemfelder, die wir niemals - mit egal welcher Technologie - in den Griff bekommen werden:

a) Naturkatastrophen
Japan und Fukushima zeigen: keine Naturgewalt ist vorhersehbar, planbar oder im voraus abwehrbar und selbst wenn wir es könnten, reagieren wir doch einfach nicht richtig auf dieses Wissen. Im Falle Japans waren es planerische Unfähigkeit sowie eine Verquickung von Politik, Wirtschaft und Zuständigkeiten, die zum Resultat "Kernkraftwerk + Erdbebengebiet + direkt an der Küste + kein Tsunamischutz + ungenügende Sicherheitsmechanismen + Stromausfall geführt haben, obwohl all das problemlos vorhersehbar war. Das Resultat dieses Gedankens ist, dass Kernkraftwerke niemals sicher genug sind. Sie mögen zu 99,999% sicher sein, aber das restliche tausendstel Prozent zieht viel zu umfassende und schreckliche Schäden nach sich. Und es gibt kein Gebiet auf der Erde, dass nicht von irgendeiner Naturkatastrophe heimgesucht werden könnte - egal wie unwahrscheinlich diese ist.

b) Endlagerung
Schwerer als Naturkatastrophen wiegt die Endlagerung. Wir schaffen Probleme für die nächsten 1.000 Generationen unserer Nachkommen und das nur für ein bisschen Energie für drei bis fünf Generationen heute. Das ist - im rechten Licht betrachtet - nicht nur fahrlässig, es ist sogar in ein unheimlich bösartigen Weise irre egoistisch. Und zwar in einem Maße, das man es nicht mit einem Achselzucken abtun kann, sondern das es vor den Augen unserer Nachkommen zwangsläufig keine Vergebung finden wird können. Natürlich könnte es uns in der heute typisch hedonistischen Mainstream-Denkart doch egal sein, was kümmern uns die folgenden Generationen. Die Probleme, die wir heute verursachen, werden erst in Generationen richtig zum Vorschein kommen: dann, wenn Endlagerstätten umgepackt werden müssen, dann, wenn unser Atommüll verrottet und die Umwelt aus undichten Lagerstätten verseucht wird, dann, wenn der Atommüll Kriminellen in die Hände fällt, die damit Dinge anrichten können, an die wir heute gar nicht zu denken wagen. All das wird in 50, 100 oder auch erst 500 Jahren akut werden. Aber es wird unweigerlich GESCHEHEN und unsere Nachkommen werden uns dafür zu Recht verfluchen. Allein deshalb ist für mich der moralische Impetus daraus, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, NICHT gegen die Kernenergie zu sein, wie wir sie in unserer heutigen Zeit betreiben.

c) Menschliches Versagen
Menschliches Versagen ist nicht nur fehlerhaftes Bedienen, eine Nachlässigkeit im Betrieb oder Inkompetenz - was bspw. zum Unfall in Tchernobyl geführt hat - sondern es bedeutet auch mutwilliges Verschulden durch Sparzwänge, politische Entscheidungen, Korruption und fahrlässiges Handeln mit dem Zeitgeist. Versagt haben beispielsweise in Russland die politischen Entscheider, die derart schlecht gebaute Kernkraftwerke zugelassen haben und die ihren Betrieb in derselben dummen Weise organisierten, wie ihren gesamten Staat: mit politischen Druck und zu wenig Sachverstand. Das führte zur Katastrophe von Tchernobyl. In Japan war es wieder die Verquickung von Politik und Wirtschaft, die zu viel Risiko im Bau, bei der Wahl des Ortes und der nötigen Sicherheitsmaßnahmen einging und die ignorierte, wie sicher ein großes Erdbeben in der Region doch sein würde. In Deutschland gehen wir mit der Kernenergie nicht minder sorglos um, denn alte, abgeschaltete Kernkraftwerke mit immer noch vorhandenem, strahlendem Material sind leicht zugänglich und die laufenden Reaktoren selbst wiederum genügen - da sie allesamt Jahrzehnte alt sind - nicht den heutigen Anforderungen an Technik und Sicherheit. Wir leisten uns da eine Menge Unsicherheit.

Sicher ist jedoch immer: der Mensch wird versagen. Aus Absicht, aus Dummheit, aus Faulheit, aus Ignoranz - es ist gleichgültig, er wird auf jeden Fall versagen. Und Menschen müssen auch versagen dürfen, denn wir sind keine Zivilisation aus Robotern. Es sollte aber kein Mensch in zivilisierten Rechtsstaaten die Verantwortung übernehmen müssen, bei einem Fehler hunderte oder tausende von Menschen ins Unglück stürzen zu können oder in den Tod zu schicken. Auch das gehört zu einer ethisch verantwortungsvollen Gesellschaft - das so etwas nicht zum Kalkül eines Staates oder Unternehmens gehören darf. Denn ansonsten verspielt der Staat seine Legitimation: das Leben seiner Bürger zu schützen  - soviel musste ich mir jetzt erst einmal bewusst machen.

Ich habe zu meinen Lebzeiten bereits zwei Super-Gaus erlebt. Von denen hieß es zu meiner Schulzeit immer, sie passierten einmal in tausend Jahren. Ich bin 33. Es ist - mit ein wenig Nachdenken - offensichtlich: wir erkaufen uns die Nutzung der Kernenergie mit zu großen Opfern. Nun ist das prinzipiell nichts neues. Denn kaum ein Fortschritt in der menschlichen Geschichte wird durch ungeteilte Zustimmung erzielt und es gibt dabei immer Sieger und Verlierer. Oft genug haben wir es auch nicht in der Hand, darüber zu entscheiden, ob wir die Folgen zulassen oder nicht. Im Fall der Kernenergie haben wir es jedoch in der Hand. Wir können ihre Nutzung beenden und zwar jederzeit. Das ist nur eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Willens. Mein Fazit ist: wir sollten ihre Nutzung beenden, sofort und weltweit.

1 Kommentar:

  1. Nuja, wir wollen es mal nicht übertreiben :) Ich bin definitiv kein Freund der Atomenergie, aber einen sofortigen Ausstieg halte ich für übertrieben.

    Ich denke eher eine "Wiedereinsetzung" des rot-grünen Atomausstiegs ist das sinnvollste. Damit war der Konflikt befriedet und eine für alle Seiten tragbare Lösung gefunden.

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