Sonntag, 12. Oktober 2014

Immer noch Zeit für Krieg

Seit drei Jahren tobt der Aufstand in Syrien. Der Konflikt findet quasi vor unserer Haustür statt, nur eine Flugstunde weiter als bis zu den beliebten Feriengebieten der Türkei, in denen es sich die Deutschen "mal so richtig gutgehen" lassen, weil man sich "ja ein bisschen was verdient hat". Ein paar hundert Kilometer weiter tobt der Krieg. Im Vergleich mit dem syrischen Drama muten die Konflikte in Gaza, der Ukraine und selbst die im Irak geradezu überschaubar an.

Von den 20 Mio. Einwohnern Syriens haben inzwischen rund 2,5 Mio. das Land verlassen und weitere zwischen 5 bis 6 Mio. sind auf der Flucht. Damit sind zwei Fünftel der syrischen Bevölkerung aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben worden oder geflohen. Die allergrößte Mehrheit dieser Menschen ist gänzlich unbeteiligt am Konflikt zwischen dem vom Reformer zum Diktator mutierten Präsidenten Assad und den heterogen geschichteten Rebellen. Sie sind einfach nur zum Spielball der Konfliktparteien geworden und haben außer der Flucht keine Chance, dem Krieg zu entgehen. Aber auch diese wird immer schwieriger. Schon von Anfang an sind die Flüchtlingslager in den angrenzenden Staaten Türkei, Jordanien, Libanon und Irak überfüllt, viele Flüchtlinge sind anonym oder auch illegal untergetaucht und mangels Geld, Pässen, Sprachkenntnissen und organisierter Hilfe wissen sie an ihren Aufenthaltsorten nicht, was sie tun und wohin weiter sie gehen sollen. Das UNHCR spricht deutlich von der größten humanitären Katastrophe seit dem Völkermord in Ruanda 1994. 

Währenddessen hat es sich Deutschland wieder einmal in der Rolle des friedliebenden Beobachters bequem gemacht, während Menschen sterben. Die deutschen Hilfen für die Flüchtlinge sind ein Witz, denn im Prinzip tut das Land seit drei Jahren nichts, ebenso wenig die EU, die die Gewalttaten in Syrien aber immerhin "aufs Schärfste verurteilt und sehr besorgt ist". Hui! Wie beruhigend. 

Asyl wird im Prinzip nicht gewährt und militärisch wird nicht eingegriffen, während Assad mit Unterstützung aus Russland sein Volk terrorisiert und abschlachtet. Als schlechter Nebeneffekt ist zudem der ursprüngliche Auslöser des Konflikts, der Wunsch der ursprünglich rein politischen Opposition nach mehr Demokratie im Land, inzwischen völlig in den Hintergrund getreten. Die radikaler gewordene Auseinandersetzung hat einen religiösen Charakter angenommen, da zunehmend eben religiöse Kräfte, finanziert aus den Golfstaaten, auf Rebellenseite den Kampf führen. Schlecht für die Bevölkerung der von diesen Rebellen beherrschen Gebieten ist, dass sich diese religiösen Fanatiker kaum von dem Gebaren der IS im Irak unterscheiden, teils sogar dieselben Ziele und Geldgeber haben. Die geopolitische Dummheit der Golfstaaten ist offensichtlich, aber nicht Thema dieses Beitrages. Insgesamt ist der Bürgerkrieg in Syrien heute ein einziges Durcheinander von Konfliktparteien und es ist oft gar nicht mehr klar, wer wann gegen wen kämpft. Der Wikipedia-Artikel ist in dieser Hinsicht lesenswert.

Die EU und die Nato haben sich in Syrien von drei Faktoren von einer Intervention abhalten lassen:

1. Die Feigheit der Deutschen und der EU.
Wie ich bereits vor einem Jahr schrieb, sind die Deutschen zu feige geworden, um für das Richtige einzutreten, weil man sich dabei die Finger schmutzig machen muss: 
Krieg, militärische Interventionen oder bewaffnete Konflikte sind keine guten Lösungen. Sie sind noch nicht einmal schlechte Lösungen. Aber sie sind Mittel, wenn es keine anderen gibt. Und nach 100.000 Toten weiß man, dass die Diplomatie als Mittel in Syrien nicht reicht. Man kann als moralischer Mensch nicht für Krieg sein. Man kann als moralischer Mensch aber auch nicht zusehen, wie unmoralische Menschen sich des Krieges als Mittel bedienen dürfen und dem nichts entgegensetzen. Man muss sich stattdessen die Hände schmutzig machen und in den Krieg ziehen. Die Amerikaner haben es gegen die Nationalsozialisten getan und ihre Hände sind schmutzig geworden. Aber sie haben die Menschheit, die Europäer, die Deutschen von großem Übel befreit und ihnen Freiheit gebracht. Nun müssen wir uns selbst die Hände schmutzig machen.
Aus den 100.000 Toten von vor einem Jahr sind inzwischen 200.000 geworden. Und immer noch sind wir zu feige, um dagegen vorzugehen. Die EU kann sich zu nichts aufraffen, auch weil die Deutschen das Lager der Verweigerer nur zu gerne anführen. Das ist erbärmlich. Das hat natürlich auch mit dem zweiten Grund zu tun.

2. Mangelnde Fähigkeiten 
Die EU ist ein wirtschaftlicher Riese, die größte Wirtschaftszone der Welt, noch vor den USA, mit mehr Bevölkerung als diese. Sie könnte auch in der globalen Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle spielen. Stattdessen sind die einzigen globalen, militärischen Trümpfe, die die EU in der Hand hat, das bescheidene Atomwaffenarsenal Großbritanniens und Frankreichs und die NATO-Mitgliedschaft, bei der man sich unter den Schutz der USA begeben hat. Die eigenen militärischen Kapazitäten sind mit den paar bestehenden Konflikten, an denen wir beteiligt sind, ohnehin ausgelastet: Afghanistan, Kosovo, Horn von Afrika, die nordafrikanischen Bürgerkrieg und die sonstigen Missionen sind gerade noch stemmbar, ein echter militärischer Einsatz in Syrien liegt außerhalb unserer Fähigkeiten, sowohl logistisch wie auch militärisch. Die jüngsten Enthüllungen über den Zustand der Bundeswehr verdeutlichen, zu wie wenig wir überhaupt noch imstande sind.

Auf europäischer Ebene könnte man immer noch die EU Batttlegroups ins Feld werfen, um bspw. einzelne Städte oder strategisch wichtige Positionen zu verteidigen. Aktuell böten sich da einige interessante Einsatzziele an. Aber politisch hat man bequemerweise den Einsatz der EUBGs von Mandaten des UN-Sicherheitsrats abhängig gemacht. Also ausgerechnet von diesem höchst ineffizienten, ungerecht besetzten Gremien das dank der Mitgliedschaft von Russland und China ohnehin nicht zu effektiven Beschlüssen gelangt. Und das zielt auf den dritten Grund ab: 

3. Das hervorragende taktische Spiel Putins
Der russische Präsident erweist sich als guter, politischer Stratege, der mehrere Faktoren richtig eingeschätzt hat: die Unwilligkeit der Deutschen, der EU und der USA, sich wirklich effizient einzumischen. Den Syrien-Konflikt hält er am Köcheln, indem er einerseits die russische Vetomacht im UN-Sicherheitsrat dazu nutzt, um ein offizielles Vorgehen der Völkergemeinschaft gegen Assad zu blockieren. Andererseits lässt er gerade so viel humanitäre Hilfe zu, das Russland nicht allzu schuldig dasteht, während er den Diktator gleichzeitig nach Kräften mit Waffen beliefert. Mit der Syrienkrise im Hintergrund ist der Westen gerade genug beschäftigt, so dass er sich bei der Annexion der Krim nicht einmischt. Gleich auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres stiftet er den Osten der Ukraine zu Chaos und Bürgerkrieg an, so dass auch hier der Westen die Krim vergisst. Somit hat Putins Russland an drei regionalen Konfliktpunkten seine Finger im Spiel und hält zwei davon geschickt am Köcheln. Nun gesellt sich auch noch der zerfallende Irak als Problemherd hinzu. Über die Krim spricht niemand mehr und Syrien ist Putin letztlich nicht wichtig, egal wie der Konflikt dort ausgeht. Das ist geostrategisch ausgezeichnet organisiert und sowohl die EU wie auch die NATO sind bislang sehr offenkundig nicht in der Lage, dem etwas gleichwertiges entgegenzusetzen.

So leiden und sterben die Syrer vor sich hin, tausende jeden Monat, zehntausende pro Jahr. Und wir tun gar nichts. Das bleibt weiterhin feige. 

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