Sonntag, 3. Oktober 2010

Es liegt nicht an Politikern oder der Gesellschaft: das Problem sind die Medien

Der 3. Oktober ist ein Festtag für Deutschland. Zumindest sehe ich das so und es gibt reichlich Menschen, die das ebenso sehen. Ich persönlich bin davon begeistert, dass wir es feiern dürfen, dass unser Land sich vor 20 Jahren nach einer unblutigen, mutigen und historisch einmaligen Revolution hat vereinen können, ohne das ein Mensch dabei zu Tode kam. Eine großartige Sache.

Die Gesellschaft feiert, nur die Medien wälzen sich im Trübsinn und ihrer typisch zynischen Sicht der Dinge.
Beim Spiegel steht auf Platz eins Artikel über Stuttgart 21 und etwas später am Tag dann die absurde Nachricht über eine... huuuu... erhöhte Terrorgefahr bei Reisen. Die FAZ beschäftigt sich mit Rolands Koch Schelte zu Sarrazin und - noch absurder - dem Regierungsentwurf zur Sanierung von Altbauten. Immerhin gibt es auf der rechten Seite eine Box zur deutschen Einheit - in welcher einem aber eigentlich nur erklärt wird, was alles schlecht gelaufen ist. Wie aufmunternd.
Die ZEIT lässt auch kaum ein gutes Haar an der deutschen Einheit und auf Platz Zwei kommt der peinliche Artikel eines dieser "Ich-bin-vielleicht-Weltbürger-aber-keinesfalls-Deutscher"-Erstartikel-Schreiberlinge (hat die Zeit keine richtigen Autoren mehr? Sorry, wenn ich die Auslassungen eines 21-jährigen zum Thema Patriotismus nicht ernst nehmen kann, da mir so gut in Erinnerung ist, was für einen reichlichen Unsinn ich selbst in dem Alter erzählt habe). Auf Platz Drei geht's wieder um das langweilige Thema Stuttgart 21, dem zweitüberflüssigsten Diskussionsprojekt des Jahres 2010. Allerorten herrscht Pessimismus und Depression. 

Die Aufmachung der Startseiten der großen deutschen Nachrichtenportale lässt tief blicken: es sind trübsinnige Artikel von offensichtlich ebenso trübsinnigen Menschen, die über die großen Nachrichtenredaktionen ihren Trübsinn verbreiten. Es scheint, als könnten sie es nicht zulassen, dass sich das Land einen Tag lang einfach nur freuen möge. Man findet nichts gutes zur deutschen Einheit, man findet nur schlechtes über den Zustand des Landes. Ich frage mich sehr, warum die Arbeit bei Zeitungen einen Typ von Menschen anzieht, der - so hat es den Anschein - hauptsächlich von politischen und gesellschaftlichen Depressionen geplagt wird und dem es unangenehm ist, über etwas Schönes und Positives zu berichten.

Dabei ist es auch interessant, dass die deutschen Leitmedien zwar unisono beklagen, wie wenig Positives die Deutschen der Einheit und ihrem Land doch allzu oft abgewinnen können, sie selbst sind jedoch die Hauptpropagandisten dieser schlechten Stimmung. So kenne ich umgekehrt in meinem durchaus heterogenen Freundes-, Bekannten- und Familienkreis, der quer durchmischt mit Ost-, West-, Nord- und Süddeutschen ist, niemanden, der die deutsche Einheit beklagt, bedauert oder beweint. Es herrscht zwar häufig der typisch deutsche Realpessimismus vor, der zwar beklagt, dass das Land den Bach runtergehe, aber persönlich geht es doch jedem eigentlich ziemlich gut - was auch jeder sagt und keiner infrage stellt. Lustigerweise erwarten eigentlich auch alle, dass es ihnen in den nächsten Jahren eher besser als schlechter gehen werden - eine erstaunliche Leistung an kognitiver Dissonanz, wenn man bedenkt, dass Deutschland ja quasi kurz vor der Katastrophe steht.

Die deutschen Leitmedien hingegen, von den seriösen wie ZEIT, FAZ oder Spiegel bis hin zur Gosse wie BILD suhlen sich seit Jahrzehnten im ausufernden Pessimismus. Jede Woche erscheinen Artikel, die exakt beschreiben, wie unser Land zusammenbricht, sich zerstört oder absichtlich beschädigt wird. Immer entwickelt sich die "heutige Jugend" zu untauglichen, egoistischen Zeitgenossen, welche der Elterngeneration die Solidarität aufkündigt (interessant, denn es war nicht die heutige Jugend, welche 2 Billionen Euro Schulden aufgehäuft und sich problemlos Jahresgehälter von 10 Millionen Euro auf Steuerzahlerkosten genehmigt hat). Immer steht die Umwelt kurz vor zum Zusammenbruch, seit den 70er Jahren schon ist das Ende jedes Jahr nur noch eine Dekade entfernt (eigenartig, dass ich noch Atmen kann und das Trinkwasser immer noch genießbar ist). Immer verkommen Kultur und die geistige Weiterentwicklung zu einer reinen Konsumgesellschaft (komisch, dass heute mehr Theater existieren, mehr Sachbücher publiziert werden, mehr Zeitungen erscheinen und mehr Medien existieren wie noch nie zuvor in der deutschen Geschichte). Natürlich ist die politische Klasse jedes Jahr darauf aus, den Staat bestmöglich an die Wand zu fahren (nachdenklich stimmt, dass Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, die zweitgrößte Exportnation, die produktivste Wirtschaft hat, ein hohes Maß an sozialer Gleichheit besitzt, ein allseits geachtetes Mitglied der internationalen Gemeinschaft ist, ein Land mit hoher Lebensqualität ist, Frieden seit mehr als 65 Jahr hat und hält, keiner verhungert oder verdurstet, die Kindersterblichkeit niedrig ist, man wohnen kann wo man möchte, die Ausrichtung der eigenen Sexualität keine Rolle mehr spielt, man nicht als Sklave gehalten werden kann und vieles, vieles mehr).

Irgendwie stimmt die Realität mit den "Beobachtungen" der Leitmedien nicht überein. Denn wenn man dem Spiegel, der ZEIT oder der FAZ durch die letzten Jahrzehnte folgt, dann geht Deutschland unter - mindestens wöchentlich seit 1945, aber spätestens seit 1990 täglich. Es ist nur so eigenartig, dass diese immer wiederkehrenden täglichen Behauptungen all dieser klugen und gelehrten Autoren seit 60 Jahren das angekündigte Ereignis vermissen lassen. Deutschland lebt merkwürdigerweise immer noch und das so gut wie noch nie zuvor in der Geschichte dieser Nation. Und es würde mich nicht wundern, wenn die in der deutschen Medienlandschaft Tätigen darüber irgendwie nicht besonders glücklich sind - denn warum würden sie den Untergang sonst täglich herbeischreiben?

Die Erkenntnis über das Vorhandensein dieser ständigen, medialen Miesmacherei und des notorischen Schlechtredens allen Geschehens führt bei mir hauptsächlich dazu, dass ich beginne, eben diesen Leitmedien für meine Meinungsbildung zunehmend weniger Bedeutung beizumessen. Es mag noch Sinn haben, Artikel zur Aufnahme von Daten und Fakten zu lesen, aber auch das zunehmend kritischer. Als Vorbild taugen sie jedoch nicht mehr. Spiegel, Zeit, FAZ, Süddeutsche und Co verlieren ihre Vorbildfunktion und ihr moralisches Gewicht - stattdessen empfinde ich sie mehr und mehr als einen bedeutsamen Quell eines echten Problems in unserem Land: alles, was gut ist, wird übersehen und ignoriert, alles, was normal läuft, wird schlecht geredet und alles, was schlecht läuft, wird zur Katastrophe hochstilisiert. Das scheint ihre Berufung zu sein, ihr ständiger Antrieb. Der permanent ausgerufene Ausnahmezustand wird jedoch mit der Zeit nervtötend und ich beginne, ihn und seine Propagandisten zunehmend zu ignorieren. Ich habe nämlich gute Lust, mich an diesem Tag einfach zu freuen. Nur das. Einfach nur mal fröhlich wegen der deutschen Einheit zu sein. Ohne Miesmacherei und Geheule. Ich schau mir lieber ein paar Videos an, bspw. das hier, oder das oder auch das.

6 Kommentare:

  1. Also ich finde diesen Artikel sehr trübsinnig, weniger die Leitartikel der letzten Wochen. Solche Beiträge sind es doch, die alles schlecht reden. Und dass S21 ausgerechnet zur Einheitsfeier diskutiert wird, ist doch vollkommen richtig. Wenn Menschen im Jahr 2010 das Demonstrationsrecht abgesprochen wird, sie als "wohlstandsverwöhnt" und als "Berufsdemonstranten" verunglimpft werden, muss man sich fragen, wie es um die Demokratie steht, für die die Ostdeutschen 1989 auf die Straße gegangen sind.

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  2. "(komisch, dass heute mehr Theater existieren, mehr Sachbücher publiziert werden, mehr Zeitungen erscheinen und mehr Medien existieren wie noch nie zuvor in der deutschen Geschichte)"
    Also diese Behauptung hätte ich gerne unterfüttert. Die bezweifle ich nämlich stark. Was Theater und Co angeht, dürften wir noch immer weit unter der Zahl der Theater und Co der Weimarer Republik liegen. Bei Zeitungen dürfte es ähnlich sein. Und wenn schon nicht im Vergleich zur Weimarer Republik, dann sicherlich im Vergleich zum 18. und 19.Jhd, wo alle Welt sich eine eigene Zeitung gab.

    Gute Nachrichten verkaufen sich auf Dauer einfach nicht. Schlechte hingegen schon. Das liegt also nicht an den Medien, sondern an ihren Konsumenten, die genau diese Nachfrage erzeugen. Hier muss der Ansatz erfolgen und nicht andersrum.
    Und ausserdem gibt es viele gute und positive Berichterstattung auch in den genannten Zeitungen, nur überliest man diese selbst viel zu schnell und merkt sich diese auch seltener. Was an der Methode liegt, wie unser Gehirn solche Dinge verarbeitet.

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  3. Ach so, kleine Ergänzung mit einem Beispiel.
    Willst du wirklich täglich lesen, dass tausende von Zügen pünktlich sind? Oder würdest du selbst das Ganze doch lieber ignorieren und stattdessen die Schlagzeile über das Chaos bei der Bahn lesen?

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  4. @Sören: keine Ahnung, wie Du anhand meines Themas auf die Connection zu S21 kommst und behauptest, ich würde irgendwem das Demorecht absprechen. Aber da ich annehme, dass auch Du schon Wahlkampf mit Thema betreibst, ich hier jedoch gerade das nicht tue, sei es eben drum. Mich interessiert das Thema einfach nicht und ich sehe die Demokratie nicht Gefahr. Im März 2011 sind auch in BaWü Wahlen, da kann dann jeder wie üblich abstimmen.

    @anonym: ich hatte im Studium einmal ein Semninar zu Situation der Medien belegt in dessen Rahmen wir uns auch mit Zahlen zur Medien- und Kulturlandschaft Deutschlands beschäftigten. Daher ist mir das geläufig. Leider habe ich Seminararbeit nicht mehr, so dass ich jetzt auf die Schnelle keine Quelle nennen kann.

    Mir ist schon klar, dass man sich gerne mit Katastrophenmeldungen beschäftigt, da sie aufregender sind als die Nachricht "99,7% der Züge waren heute pünktlich". Aber gerade diese Einstellung geht mir mittlerweile sehr gegen den Strich und gerade deswegen will ich sie eigentlich auch anpassen.

    Die Überbewertung von schlechten gegenüber guten Nachrichten machte vielleicht vor 10.000 Jahren Sinn, vielleicht auch vor 100 Jahren. Heute... naja, ich weiß nicht. Ich möchte mir jedenfalls nicht vorwerfen müssen, ich wäre ein triebgesteuertes Etwas, dass nichts an der kognitiven Leistung seiner selbst ändern und verbessern könnte. Ob das andere auch so machen wollen, sei ihnen überlassen - ich kann es dennoch anprangern. Mein Eindruck, dass die Stimmung in den Medien wesentlich schlechter ist als Stimmung vieler Menschen wird dadurch nicht geschmälert.

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  5. Nur kurz zur Verknüpfung zwischen dem Tag der deutschen Einheit und #S21. Das hier wurde am 3. Oktober 2010 im Stuttgarter Schlosspark errichtet. Hat schon Symbolkraft, oder?

    http://twitpic.com/2ubpwj

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