Sonntag, 17. Oktober 2010

Zurück in die Opposition


Das der Deutsche im Herbst eher melancholisch wird und diese Melancholie zuweilen in revolutionäre Stimmung umschlägt, hat unser Land ja schon öfter demonstriert. Der "deutsche Herbst" verspricht seit jeher eine spannende Jahreszeit zu werden. Auch momentan ist das wieder so, wie vor allem das Schwabenländle zeigt.

Dennoch gilt meine persönliche revolutionäre Stimmung momentan mehr Berlin denn Stuttgart. Denn ein Jahr nach der Regierungsübernahme durch Schwarz-Gelb ist die Enttäuschung nicht nur groß geworden, sie ist auch groß geblieben. Ich bin nach wie vor sowohl zutiefst enttäuscht über die handwerklich schlechte und persönlich desillusionierende Regierungsbeteiligung der FDP im Bund als auch der Ansicht, dass das nicht noch drei Jahre so weitergehen darf. Die ersten paar Monate hatte man noch sagen können, sie brauche Zeit zum Eingewöhnen, danach war es die Hoffnung, vielleicht bessere es sich und jetzt ist es nur noch ein Abwarten auf das Ende, dass so früh wie möglich kommen muss.

Um es deutlich zu formulieren: an der miserablen Regierungsmannschaft, ihrem zu Recht schlechten Bild in der Öffentlichkeit und ihren handwerklichen Fehlern sind zwei Ursachen schuld.

Die erste Ursache ist die ganz offensichtliche persönliche Nichteignung von Guido Westerwelle, ein Amt in der Bundesregierung auszuüben und sein Unvermögen, eine dafür passende Mannschaft zusammenzustellen. Statt Herrmann-Otto Solms als Finanzminister bekamen wir Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister. Statt Wolfgang Gerhard als Aussenminister, wollte er dieses heute unwichtige Amt lieber (schlechter) selbst machen. Statt wie versprochen das Entwicklungshilfeministerium abzuschaffen, hat er es seinem loyalen Diener Dirk Niebel geschenkt. Statt fähige Staatssekretäre zu bestellen, wurden reihenweise Posten für ebenso loyale, wenngleich nicht unbedingt befähigte Freunde bereitgestellt. Statt Ämter zu streichen wie versprochen, wurden welche geschaffen um diese zu versorgen. Statt die große Steuerreform vom ersten Moment an in den Koalitionsverhandlungen zur Bedingung einer 15%-Partei für die Beteiligung an der Regierung zu machen, wurde der Umsatzsteuersatz für Hoteliers gesenkt. Statt wie von den liberalen Kräften des Landes erhofft im bürokratischen Dschungel für mehr Licht und Sicht des gesunden Menschenverstandes zu sorgen, passiert schlicht gar nichts. Westerwelle hat die liberale Agenda ignoriert, unser Wahlprogramm ad absurdum geführt und jegliche Hoffnung zerschlagen. All dies ist sein persönliches Versagen.

Die zweite Ursache ist die Feigheit der liberalen Partei. Es ist unsere eigene Schuld, dass wir Westerwelle als Vizekanzler zugelassen haben. Es ist unsere eigene Schuld, dass wir naiv genug waren und angenommen haben, aus ihm könne statt eines hervorragenden Oppositionspolitikers ein staatstragender Vizekanzler werden. Wir hätten Wolfgang Gerhardt und Hermann-Otto Solms statt Dirk Niebel, Birgit Homburger, Rainer Brüderle und Co schicken sollen. Wir hätten zu Westerwelle sagen müssen "Du nicht!". Das hätten wir bereits letztes Jahr tun müssen, aber dazu war natürlich kaum Zeit und Gelegenheit. Wir hätten es nun dieses Jahr tun müssen, aber dazu fehlt uns weiterhin der Mut. Jetzt bezahlen wir für diese Feigheit mit 5%. Wir bezahlen dafür mit vier Millionen verlorenen Wählerstimmen. Und wir werden weiterhin bezahlen. Die FDP ist auf ihre Kernwählerschaft zurückgeschrumpft, aber das ist noch nicht alles, denn Wahlen stehen bevor. Wir werden diese Wahlen verlieren. Das kann nicht unser Anliegen sein, das kann nicht unserem Selbstverständnis entsprechen.

Die FDP muss daher erkennen, dass sie nicht ohne ein deutliches Zeichen der Demut davonkommt. Die vier Millionen Bürger, welche uns als Wähler davongelaufen sind, haben dieses Zeichen der Demut verdient. Sie haben verdient, dass die FDP sagt: "Wir haben erkannt, dass wir uns geirrt haben. Unser Spitzenpersonal hat uns alle enttäuscht. Unsere Wahlversprechen haben wir schlecht oder gar nicht umgesetzt. Wir wissen, dass wir nun mit anderen Persönlichkeiten an der Spitze einen neuen Anfang wagen müssen. In drei Jahren werden wir erneut um ihr Vertrauen werben." Dieses Zeichen der Demut kann nur der Gang in die Opposition sein. Denn alle anderen Versprechen sind nur Worte. Wir müssen Taten zeigen, sonst werden wir von den Wählern berechtigterweise nicht ernst genommen werden.

Wenn also die 70.000 liberalen Mitglieder in Deutschland ihren Glauben an die Kraft der Freiheit ernst nehmen, dann müssen sie erkennen: nicht mit dieser Regierungsmannschaft. Wir alle müssen erkennen, dass sich die Zeit des politischen Gestaltens an der Spitze von Partei und Bund dieser Personen dem Ende zuneigt. Der verpatzte Start war kein Versehen, es war nur der Ausdruck der mangelnden Fähigkeiten von Westerwelle und seinem Team. Wir müssen den Mut fassen, Westerwelle als Parteivorsitzenden abzusetzen. Wir müssen den Druck auf die Bundestagsfraktion so erhöhen, dass diese der Regierungsbeteiligung abspricht, damit das ungeeignete Regierungspersonal gehen muss. Wenn wir diesen Mut nicht fassen, werden die nächsten Jahre schlimm: die Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen ist schon dahin, auch dank unserer Schwäche. Die nächste verlorene Regierungsbeteiligung wird Baden-Württemberg, auch dank unserer unpassenden Unterstützung des Bauprojekts Stuttgart 21. In Sachsen-Anhalt, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Chance auf erneute Regierungsbeteiligung. Und in Rheinland-Pfalz wird es ebenfalls kaum dazu kommen. Unser Einfluss in den Ländern erodiert dank unserer miserablen Bundespolitik. An eine Wiederwahl im Jahr 2013 im Bund ist daher auch nicht zu denken. Nach einigen Jahren des liberalen Erstarken wird nun eine Phase kommen, in welcher uns alle Gestaltungskraft abhanden kommt. Wenn wir wollen, dass das nicht passiert, bleibt uns nicht mehr viel Zeit zu handeln.




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